Das Böse verstehen…

Das Böse verstehen…

Die Frage ist so alt wie die Menschheit: Gibt es wahrhaft böse Menschen?

Für unsere Gesellschaft wird die Frage immer dann aktuell, wenn es darum geht, ob psychische gestörte Schwerverbrecher geheilt und wieder in die Welt entlassen werden können.

Ein wahrhaft böser Mensch empfindet kein Mitgefühl, keine Reue und ist allein auf seinen Vorteil bedacht. Dabei wirken solche Menschen erst einmal völlig normal, nett und unauffällig. Ihnen tropft kein Geifer von den Lippen, ihre Augen funkeln nicht satanisch, nichts verrät, was da in ihnen schlummert.

Der Schauspieler Anthony Hopkins als Serienmörder Dr. Hannibal Lecter: Das Böse übt auf viele auch etwas Attraktives aus, sonst wäre der Erfolg von Filmen wie "Das Schweigen der Lämmer" kaum zu erklären

Aber wird man bereits böse geboren oder sind es die äußere Umstände, die einem zum „Monster“ machen?

Es gibt genug Fälle, in denen psychisch gestörte Menschen von üblen Mißhandlungen z.B. in der Kindheit berichten; es gibt aber auch entsprechend viele Berichte von Menschen, die das Gleiche durchmachen mussten und dennoch völlig normal blieben. Sogar bei Zwillingen wurden diese völlig unterschiedlichen Entwicklungen beobachtet.

Der Neurologe Niels Birbaumer hat nachgewiesen, dass bei Psychopathen die Regionen im Gehirn, die für das negative Empfinden zuständig sind, wenig oder gar nicht arbeiten. Möglicherweise können „böse“ Menschen also ihr Tun nicht abschätzen.

Aber was ist mit den intelligenten Psychopathen? Funktioniert denn nicht zumindest ihr Verstand derart, dass er ihnen aufzeigt, auf welchen Abwegen sich ihr Handeln empfindet? Kann ein halbwegs kluger Mensch nicht zumindest theoretisch das, was er anderen antut, auf sich selbst übertragen, um so sein Handeln abschätzen zu können? Lässt sich das Böse darüber definieren, dass ein Psychopath gar nicht daran interessiert ist, die Folgen seines Tuns für andere (das Opfer) abzuschätzen, weil er für sich andere Regeln festlegt als für den Rest der Menschheit, zum Beispiel, was Schmerz oder Verlust betrifft? Warum tut er das? Möglicherweise handelt es sich um krankhaften Egoismus; der eigene Vorteil oder der Kick durch eine Tat steht im Vordergrund, alles andere ist nicht präsent.

Der Psychopath kann sich nicht in andere hineinversetzen. In der Theorie kann er sicher gut von böse unterscheiden, dafür gibt es schließlich genügend Regeln oder Moralvorstellungen, die ihm durchaus bekannt sind. Nur: er hält sich nicht daran. Willentlich. Wissentlich.

Oder kann er einfach nicht anders? Handelt er unter Zwang?

Wenn ausschließlich Areale im Gehirn für die Entstehung des Bösen zuständig sind, was ich mir nicht vorstellen kann, dann wäre das Böse heilbar. Bisher konnte dies aber nicht nachgewiesen werden.

Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ein böser Mensch sich willentlich für einen Weg entscheidet, der ihn von der Empathie, vom Mitleid wegführt. Das menschliche Gehirn lässt sich konditionieren. Wird ein bestimmter Bereich verstärkt gefordert, arbeitet er effektiver, andere Areal können dagegen verkümmern.

Für diese Annahme sprechen nicht zuletzt die grausamen Taten und Verbrechen, die in Kriegszeiten von ganz normalen Menschen begangen werden. Die Zeiten waren halt so….

Fast jeder Mensch glaubt, dass das Böse in ihm schlummert. Mithilfe der Religion versucht er, das Böse für sich zu erklären oder sogar zu personifizieren (Teufel, Dämonen…) und über Rituale oder Gebote von sich fernzuhalten oder am Ausbrechen zu hindern. Auch politische und rechtliche Erklärungen (Gesetze, Menschenrechte…) dienen dazu, das Gute vom Bösen abzugrenzen und dem Menschen ein Leitsystem an die Hand zu geben. Denn böse sind immer die anderen.

Jeder, der (vermeintlich) Böses tut, findet für sein Handeln immer eine Rechtfertigung, die ihm recht und logisch erscheint und das Leiden des Opfers in irgend einer Form relativiert.

Aggression ist die bekannteste Form der Bosheit. Zwar nutzen auch Tiere aggressives Handeln, doch einzig zum Zweck, ihr Überleben zu sichern. Der Mensch hingegen ist das einzige Lebewesen, dass Aggression in Form von Gewalt gezielt nutzt und dabei außerordentlich erfinderisch ist, wenn es um Sadismus und Brutalität geht. Kein anderes Lebewesen ist so kreativ beim Zufügen von Leid und kein anderes Lebewesen käme auf die Idee, bedingungslos einem Anführer in einen Krieg zu folgen, um dessen Wunsch nach Vernichtung zu erfüllen.

Den „guten“ Menschen lässt eine böse Tat immer fassungslos zurück. Wie kann jemand bewusst und willentlich etwas Heiles, Schönes oder auch Argloses zerstören, ohne dabei zumindest den Anflug von Schuld zu empfinden? Wer nie mit dem Bösen konfrontiert war, kann nicht verstehen, dass jemand keinerlei Empathie besitzt.

Ich glaube durchaus, dass man kein böser Mensch sein muss, um eine böse Tat zu begehen. Manchmal sind es wirklich die Umstände, das Erlebte, das einem zu einer Handlung zwingt, die andere Menschen abstößt. Wird ein Täter ausreichend mit seiner Tat und dem Leid seines Opfers konfrontiert und ist gezwungen, seine Handlung zu reflektieren, offenbart sich, ob er eine „böse Seele“ besitzt. Jeder halbwegs normale Mensch empfindet früher oder später Reue.

Der wahrhaft böse Mensch ist dazu nicht in der Lage. Im Gegenteil wird er die Erinnerung an sein Tun dazu nutzen, die Tat noch einmal zu erleben und zu genießen.

Der normale Mensch begeht üblicherweise dann eine böse Tat, wenn er selbst einmal zum Opfer wurde und deshalb glaubt, dass für ihn die gesellschaftlichen Regeln nun auch nicht mehr gelten.

Gewalt und Aggression werden immer durch eine Unterscheidung zwischen „ich“ und „dem oder den Anderen“ erklärt. Nicht-psychopathische Täter bauen anschließend einen Distanz zu ihrem Handeln auf und erklären dies mit äußeren Einflüssen, Zwängen etc, wenn man sie dazu befragt. Die bekanntesten Beispiele sind die Interviews mit deutschen Soldaten im 2. Weltkrieg.

Ein psychopathischer Täter hat diese Distanz nicht. Seine böse Tat ist ihm nicht fremd und er schämt sich nicht dafür, im Gegenteil.

Dass Psychopathen uns so intelligent erscheinen, mag daran liegen, dass sie ihr Leben damit beschäftigt sind, die Fassade des gesellschaftlich angepassten und anerkannten Menschen aufrecht zu erhalten. Dies verlangt, dass sie das „korrekte“ Verhalten analysieren und nachahmen und, mangels Empathie, lernen, andere Menschen zu lesen und zu manipulieren. Zwangsläufig erwächst aus diesem Tun auch eine gewisse Verachtung gegenüber der „guten“ Gesellschaft, die aus dem korrekten Verhalten des Gegenübers schließt, dass dieser ein „guter“ ist – solnage, bis er seine Tat vollbringt. Nicht selten erzählen geschockte Familienmitglieder, Kollegen, Nachbarn, dass der Täter völlig unauffällig und „so nett“ gewesen sei.

Die Wissenschaft nennt solche Täter „erfolgreiche Psychopathen“.

Ich glaube nicht, dass jeder Mensch jedes Verbrechen begehen kann. Wir dürfen zwar die Selbstrechtfertigung nicht unterschätzen, aber ebensowenig das Schuldempfinden, das die meisten Menschen davon abhält, ihre Mord-, Gewalt- oder Rachegedanken wirklich in die Tat umzusetzen. Es gibt aber meiner Meinung nach tatsächlich wahrhaft böse Menschen, für die das Prinzip Schuld einfach nicht existiert.

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