KILLING SAINT ist zwar ein fiktiver Roman, doch wie üblich enthält er reale Hintergründe, die ich hier kurz anreißen möchte.
Bandenkriege mit Schießereien auf offener Straße gibt es nur in den USA? Mitnichten.
In den letzten Jahren gab es mehrere Schusswechsel im Berliner Rockermilieu mit teils lebensgefährlich Verletzten. Einige Clubs lösten sich im Anschluss auf und deren Mitglieder traten den beiden größten MCs bei.
Auch Duisburg ist eine traurige Hochburg für Schießeren mit Toten zwischen rivalisierenden Clubs auf offener Straße. 2015 schossen die Member zweier verfeindeter MCs am helllichten Tag aufeinander.
Vor knapp drei Jahren wurden in Köln zwei Männer der Bandidos niedergeschossen, einer von ihnen war der President des Clubs. Im gleichen Jahr wurde als Vergeltungstat für einen Messerangriff in Dortmund das Feuer auf einen Rocker eröffnet.
Aktuell machen in Berlin vor allem die brutalen Revierkämpfe zwischen den ansässigen Clans und den Tschetschenen Schlagzeile. Letztere, die lange als Söldner für die etablierten kriminellen Banden tätig waren, wollen nun ein größeres Stück vom Kuchen haben. Viele von ihnen bringen Gewalt- und Kriegserfahrung aus der Heimat mit und schrecken nicht davor zurück, ihre Kämpfe auf offener Straße, vor Einkaufszentren oder auf belebten Plätzen auszutragen. Dabei werden auch Unbeteiligte verletzt oder getötet.
Foto: Dominik Sostmann/unsplash
Dies sind nur kleine Ausschnitte aus den Kriegen der hiesigen Unterwelt. Wer meint, dass Deutschland ein friedliches, langweiliges Land wäre, über das sich keine Romane zu schreiben lohnt, täuscht sich gewaltig.
Deutschland ist Transit- und Zielstaat für illegale Waffen, die aus den jahrelangen Bürgerkriegen des westlichen Balkan stammen. In der Regel werden die Waffen, vornehmlich das berühmte AK-47, von dort ansässigen Banden im Auftrag eines Käufers eingesammelt oder aus staatlichen Waffenlagern gestohlen und von Kurieren in kleiner Stückzahl nach Deutschland geschmuggelt, von wo aus sie weiter verkauft werden. Abnehmer ist nicht nur die organisierte Kriminalität, sondern auch der Terrorismus. Manche Osteuropa-Kriegswaffen werden ganz legal nach Deutschland eingeführt, indem sie als funktionsunfähige Dekorationswaffe – beispielsweise durch einen Stahlstift im Lauf – deklariert werden. Ein geschickter Laie benötigt keine Stunde, um mit Werkzeug aus dem Baumarkt eine AK-47 wieder scharf zu machen. »Deko-Waffen« kann man auch heute noch ganz offen in einigen Ländern per Internet bestellen.
Das BKA schätzt, dass in Deutschland um die 20 Millionen illegale Schusswaffen im Umlauf sind. Demnach besitzt jeder vierte Deutsche eine scharfe illegale Waffe.
Deutschland ist auch weiterhin Haupt-Umschlagsplatz für Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung. Die Mehrzahl der Opfer stammt aus Deutschland sowie Ost- und Südosteuropa, lediglich 9% aus Nigeria.
Laut BKA geht der Zwangsprostitution in den meisten Fällen ein persönlicher Kontakt zum Opfer voraus. Bei deutschen Opfern wird üblicherweise die »Loverboy«-Methode angewendet, auf die auch Sassy hereingefallen ist. Ausländischen Frauen wird oft ein lukrativer Job in einem deutschen Hotel oder einer Modelagentur versprochen. Diese Frauen stammen oft aus armen Verhältnissen oder vom Land und haben nur eine geringe Bildung und schlechte Zukunftsaussichten.
Die Opfer werden durch Misshandlung, durch (Androhung von) Gewalt und der Wegnahme ihrer Papiere gefügig gemacht. Mitunter werden Drogen eingesetzt, die schnell zur Abhängigkeit führen.
Foto: Gio Mikawa/unsplash
Wie hoch die Dunkelziffer der Zwangsprostituierten hierzulande ist, kann nur geschätzt werden. Ausländische Opfer wagen nicht, gegen ihre Peiniger auszusagen, da sie in Deutschland keinen Schutz zu erwarten haben und nach Prozessende abgeschoben werden – zurück dorthin, wo sie bereits von den Menschenhändlern erwartet werden, die nicht selten im gleichen Dorf wie die Familie der Opfer wohnen.
Auch deutsche Frauen wagen nicht, gegen ihren Zuhälter auszusagen. Zu oft haben sie die Erfahrung machen müssen, dass die Justiz nicht auf ihrer Seite steht. Die ehemalige Prostituierte und jetzige Frauen-Aktivistin Huschke Mau berichtet, dass ihr erster Zuhälter ein Polizist war, so auch viele ihrer Freier. Auch andere Aussteigerinnen beim Netzwerk Ella berichten, dass Polizisten und Juristen zu den Freiern gehören. Bei Razzien in Bordellen kommt es durchaus vor, dass die Frauen nicht einzeln in geschützter Atmosphäre befragt werden, sondern in gegenwart ihres Zuhälters. Laut Huschke Mau gehen 90% aller entkommenen Opfer nicht zur Polizei, weil sie kein Vertrauen in die Justiz haben.
Beim Prozess um den sog. »Sachsensumpf« 1994 haben die deutschen Zwangsprostituierten (damals 13 bis 19 Jahre alt) unabhängig voneinander u.a. den Richter des Prozesses gegen den gewalttätigen Zuhälter sowie den Staatsanwalt als ihre Freier identifiziert. Der verurteilte Zuhälter Michael Wüst sagte später aus, dass seine Strafe nur deshalb überraschend mild ausgefallen sei, weil er keine Freier benannt habe.
Die Ermittlungen gegen die Juristen wurden 2014 eingestellt, zwei ehemalige Zwangsprostituierten wegen Verlemdung angeklagt, obwohl sie von mehreren Gutachtern und den Ermittlern als glaubwürdig eingestuft worden sind. Bei dem Verleumdungsprozess erlitten die beiden Frauen einen Nervenzusammenbruch. Auch Journalisten, die kritisch über den »Sachsensumpf« berichteten, mussten Repressalien seitens der Justizbehörden erleben.**
Wer sich mal in einem Freierforum umgeschaut hat, erkennt schnell, dass viele Männer genau wissen, dass manche Prostutierte ihren Job nicht freiwillig macht. Sie nutzen den Vorteil, dass die Frauen bestimmte Praktiken bzw Sex ohne Kondom nicht ablehnen können. Für manche Männer mag die Zwangslage der Frauen sogar einen besonderen Kick bedeuten.
Im Februar 2021 wurde der Fall um die ermordete Zwangsprostituierte Andrea K. vor Gericht behandelt. Andrea wurde im Alter von 19 Jahren von ihrem Exfreund Diego zum Anschaffen gezwungen, er hat ihr die kompletten Einnahmen abgenommen. Als Andrea wegen einer Psychose nicht mehr fähig war, weiterhin Freier zu bedienen, hat er sie auf einem Parkplatz für 2000,-€ an einen Bordellbetreiber verkauft. Psychisch ging es es mit ihr so sehr bergab, dass sie sich einnässte und kaum noch ansprechbar war. Als einige Tage später klar wurde, dass sie nicht mehr fürs Geschäft taugte, brachte man sie in eine Garage, quälte und schlug sie und band sie schließlich mit einem Stromkabel an eine Waschbetonplatte. Sie wurde lebend in die Weser geworfen. Erst drei Wochen später fand man ihre Leiche. Andrea hinterlässt zwei kleine Kinder.
*Quelle: BKA, Bundeslagebericht Waffenkriminalität 2019
**Mandy Kopp: Die Zeit des Schweigens ist vorbei; ISBN 978-3547711929