Der CSI-Effekt oder warum Jared aka Ghost offiziell tot sein darf

Der CSI-Effekt oder warum Jared aka Ghost offiziell tot sein darf

Heute wird es mal ein bisschen wissenschaftlich, sorry.
In Brother’s Keeper taucht der Free Biker Jared erstmalig auf und freundet sich mit Dammit an. Jared ist nicht, was er zu sein scheint. Er steckt bis zum Hals in einer dummen Sache und muss bald eine schwierige Entscheidung treffen.
Der Roman endet damit, dass Dammit, French und Nuts eine unbekannte Leiche auf den Namen Jared taufen und mit Benzin übergießen. Aus dem „echten“ Jared wird Ghost.
Nun schrieb mich ein Leser an, dass man doch ganz einfach mittels einer DNA-Analyse feststellen könnte, dass der tot-tote Jared eben nicht Jared Michael Hofer ist, sondern ein völlig anderer unglücklich Verstorbener aus der Leichenhalle des städtischen Krankenhauses …

Brother’s Keeper – Bullhead MC-Series III

»Okay, hier ist euer neuer Freund.« Chris öffnet ein Fach und zieht die Schublade heraus. Die Leichenhalle des Krankenhauses ist nicht auf dem neuesten Stand; hier bahrt man die Verblichenen noch in Metallwannen auf. Der schwammige mittelalte Platinblonde mit dem Dreifachkinn, den manikürten Nägeln und der teuren Frisur passt gerade eben noch in die Mulde, sein dicker weißer Bauch erinnert an einen toten Wal. Ein blassgrünes Tuch bedeckt die Genitalien. Der Kopf sieht irgendwie deformiert aus, als fehle hinten ein Stück.
»Man hat ihn halb tot mit runtergelassener Anzughose, einer mächtigen Latte und einer schlimmen Verletzung am Hin
terkopf in den Büschen am Schwulenstrich gefunden. Die Brieftasche und sein Schmuck fehlten natürlich«, sagt Chris und deutet auf den sichtbaren Abdruck eines Rings am Finger des Toten. »Ich tippe, er war ein verkappter schwuler Banker, der mal schnell mit einem minderjährigen Stricher im Unterholz verschwunden ist. Vorher hat er sich noch eine Handvoll Pillen andrehen lassen, damit der Spaß länger dauert. In seinem Magen befindet sich ein interessanter Chemiecocktail. Die besorgte Gattin hat ihn genau einmal auf der Intensiv besucht, um ihn über ihre Scheidungsabsichten zu informieren. Kurz darauf ist er abgenippelt. Keine weiteren Angehörigen.« Chris kichert. »Sein Coming Out hat er sich bestimmt anders vorgestellt.«
Nuts starrt den Leichenhallenangestellten an. »Du bist irgendwie gruselig, Junge.«
(Aus Brother’s Keeper)

DNA-Analysen und andere Methoden der Kriminaltechnik gelten gemeinhin als Allheilmittel zur Verbrechensaufklärung. Wissenschaftlich wird dies als CSI-Effekt bezeichnet nach der gleichnamigen Fernsehserie, wo ein klitzekleines Hautschüppchen in ein Reagenzglas getan wird und zehn Minuten später jemand ruft: „Heureka! Der Schlitzer von Soho ist kein Geringerer als unser Bürgermeister!“
In Deutschland kommt es dank dieses CSI-Effektes nicht selten vor, dass ein Geschädigter nach einem Kellereinbruch, bei dem sein Hollandrad geklaut wurde, von der Polizei eine umfassende DNA-Aufklärung fordert, weil der Täter sich an der zerbrochenen Glasscheibe geritzt hat.
Vielleicht hat der Geschädigte letztens noch Tatort geguckt. Er weiß nicht, dass im Tatort die Ermittlungsarbeit alles andere als korrekt dargestellt wird. Pro Folge brechen die Ermittler durchschnittlich dreimal das Gesetz. Sie stolpern ohne Schutzanzug über den Fundort einer Leiche und verstoßen fröhlich gegen das Verfahrensrecht, indem sie einen zufällig Anwesenden mittels Ohrfeigen zu einem Geständnis zwingen wollen*, bevor sie zufällig eine schwarze Fluse finden und eintüten. Zack – DNA-Analyse von Professor Boerne: Die schwarze Fluse stammt vom Abendanzug des Bürgermeisters, der auf dem Heimweg von der Oper noch schnell jemanden gemeuchelt hat, weil die unterdurchschnittliche Darbietung des Baritons ihm den Abend vermiest hat.

Foto: Hannah Gibbs/unsplash

In Deutschland darf im Strafrecht mit der DNA-Spur nur das Geschlecht bestimmt und überprüft werden, ob die DNA schon mal im Zusammenhang mit anderen Straftaten aufgetaucht ist.
Mehr nicht.
Die DNA (der genetische Fingerabdruck) wird aus Hautschuppen, Blut, Sperma herausgefiltert, das man auf Kleidung. Tatwaffen etc findet. Es reicht eine einzige Zelle. Theoretisch könnte man mittels der Analyse ein grobes Phantombild erstellen (Haar-, Haut- und Augenfarbe) und z.B. auch feststellen, ob der Täter eine asiatische Herkunft hat. Das ist im deutschen Strafrecht jedoch noch nicht erlaubt.

Vorrangig bearbeitet man DNA-Analysen zur Aufklärung schwerer Straftaten, bei denen ein hohes öffentliches Interesse besteht (Mord oder Vergewaltigung), oder wenn das Ergebnis mitentscheidend ist für die Anordnung einer Untersuchungshaft.
Um mit so einer DNA-Probe etwas anfangen zu können, muss man natürlich eine Gegenprobe haben. Wenn es eine gibt, dann findet sie sich in der INPOL-Datenbank, dem gigantischen Informationssystem aller Polizeibehörden in Deutschland.
Ein Täter muss dazu irgendwann einmal entweder eine Blutprobe oder einen freiwilligen Mundhöhlenabstrich abgegeben haben.
Jared ist nicht dumm. Er weiß, dass die Feststellung und Speicherung von DNA-Analysen einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen darstellt (das sagt der Bundesgerichtshof) und er wird sich schlicht weigern, sich in den Finger pieksen zu lassen. Ohne richterlichen Beschluss läuft bei ihm und seinem Strafverteidiger gar nichts.
DNA-Ergebnisse können auch nachträglich aus der Datenbank gelöscht werden, wenn die Polizei einen Bearbeitungsfehler gemacht hat – der verdammt häufig vorkommt, weil sie z.B. den Verdächtigen nur sehr nuschelig darauf hingewiesen hat, dass das mit dem Wattestäbchen im Mund eine toootal freiwillige Sache sei.
(Ungefähr die Hälfte aller Gefängnisinsassen in Deutschland hat eine DNA-Probe abgeben müssen, weil sie eine erhebliche Straftat begangen haben und die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung vorliegt, z.B. bei Sexual- und Tötungsdelikten.)
Jared wurde wegen Drogenbesitzes und -handels verknackt. Eine vergleichweise mickrige Sache. Zudem hat man ihn zu Spitzeldiensten regelrecht erpresst, was die Behörde nicht unbedingt an die große Glocke hängen möchte, wegen Skandal und so.

DNA-Analyen zur Aufklärung von Straftaten werden hierzulande von der kriminaltechnischen Abteilung des jeweiligen LKA durchgeführt. Aber: In Berlin hinkte die KTA zum Ende des Jahres 2018 mit knapp 29.000 Analyse-Aufträgen hinterher**. Im gesamten Jahr wurden dort 52.000 Anträge eingereicht, die von 400 Mitarbeitern bearbeitet werden müssen. Im Schnitt wartet man 2-3 Monate auf das Ergebnis zu einem aktuellen Tötungsdelikt, obwohl Kapitalverbrechen eigentlich Vorrang haben. Für eine Fingerabdruck-Auswertung benötigt die Berliner KTA durchschnittlich 235 Tage, also fast 8 Monate.
Der Berliner Staatsanwalt Ralph Knispel sprach gar von einer Wartezeit auf DNA-Analysen von zwei bis drei Jahren bei nichtkapitalen Delikten wie Einbrüchen oder Drogenbesitz. Diese Missstände gibt es auch in anderen Bundesländern.

Die kriminaltechnischen Abteilungen der Bundesländer arbeiten mit einem festen jährlichen Budget und einer knappen Personaldecke. Neben aktuellen Kapitalverbrechen muss die KTA auch alte ungeklärte Fälle lösen.
Dort, wo Jareds Leiche gefunden worden ist, also in Nordrhein-Westfalen, hat die KTA in der Realität noch ca. 900 alte Mordfälle zu bearbeiten, die teils aus den 70ern Jahren stammen (LKA-NRW; Stand Anfang 2018).

Foto: David von Diemar/unsplash

Jared Michael Hofers sterbliche Überreste waren zwar gut durchgegart, aber man fand eine Brieftasche, mit der die Polizei seine Identität geklärt zu haben glaubte. Sie hatten keinen triftigen Grund anzunehmen, dass der Tote jemand anders sein könnte. Ein großes öffentliches Interesse an der Sache lag nicht vor. Da hatten sich halt ein paar Verbrecher gegenseitig abgemurkst, von denen einer ein unfreiwilliger Polizeispitzel war.
In der Gerichtsmedizin hatte ein kluger Mann im Kittel in der Asche des Toten herumgestochert und festgestellt: „Ja, das war ein Mann. Das Alter könnte passen und ja, er ist tot. Fingerabdrücke ist nicht, weil die Finger verbrutzelt sind. Natürlich können wir einen Antrag für einen DNA-Abgleich einreichen und mit etwas Glück gibt es sogar einen Treffer in der Datenbank. Ist aber nicht sooo dringend, oder? Ich meine, der Typ ist doch tot. Der kann niemandem mehr etwas tun und unser Budget ist echt begrenzt. Habt ihr nichts Wichtigeres zu tun?“
„Hm, ja, dieser Serienkiller aus dem Stadtpark rennt immer noch frei herum“, sagt der Kollege. „Und wegen der Idioten, die jede Nacht die Autos unbescholtener Bürger abfackeln, bekommen wir ordentlich Druck von oben. Der Mord an dem ollen Antiquitätenhändler ist auch noch nicht aufgeklärt.“
Vielleicht reicht der Ermittler trotzdem einen Antrag ein, schreibt danach seinen vorläufigen Bericht, in dem steht, dass der Tote mutmaßlich Jared Michel Hofer ist und wimmelt am Telefon einen aufgebrachten Bürger ab, dessen Hollandrad gestohlen worden ist und wo denn das Profiler-Team bleibe, um Tatortspuren zu sichern. Am Bahnhof gab es eine Messerstecherei zwischen zwei Gangs, im Stadtzentrum ist der Range Rover eines Schönheitschirurgen in Flammen aufgegangen –“Vielleicht eine unzufriedene Kundin“, mutmaßt der Ermittler – und in zehn Minuten ist die Besprechung für eine großangelegte Razzia im Rockermilieu. Anschließend muss er als Zeuge zu einem Metzelverbrechen vor Gericht aussagen, dessen Details er nicht mehr im Kopf hat. Die Akte muss doch hier irgendwo …
Der Stapel mit den ungelösten Mordfällen aus den 70ern gerät ins Wanken und kippt um. Vor Schreck verschüttet der Ermittler Kaffee über den DNA-Antrag zum Fall Jared Hofer. Er hebt das aufgeweichte Papier mit spitzen Fingern hoch, wirft es in die runde Ablage unter dem Schreibtisch und denkt sich: „Ach, das erledige ich morgen oder so.“

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*https://www.zeit.de/zeit-wissen/2019/04/tatort-fernsehkrimis-rechtsverstoesse-zuschauer-wirkung?utm_source=pocket-newtab
** https://www.morgenpost.de/berlin/article226407057/Berliner-Kriminaltechnik-mit-Untersuchungen-im-Rueckstand.html

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