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Alles nur Drachenscheiße?

Ein vernichtendes Urteil

Im Juni 2025 kritisierte Literaturkritiker Denis Scheck bei der Verleihung des Friedrich‑Perthes‑Preises die erfolgreiche Romantasy-Reihe Fourth Wing von Rebecca Yarros als »strunzdumme militaristische Drachenpornos«
. Weiterhin verurteilte er New Adult und Romantasy als »Hirnpest in Buchform, die unter dem Rubrum Romantasy und New Adult die Regale unserer Buchhandlungen und Bestsellerlisten verstopft und gewaltige Lesewut in mir auslöst.«
(1)
Was er damit sagen will: Romane, die von Frauen für Frauen geschrieben werden, sind in seinen Augen weniger wert als Bücher, die den hehren männlichen Blickwinkel im Fokus haben.
Damit zeigt er eindrucksvoll, wie tief verwurzelt auch seine Misogynie in der Buchbranche ist. Denn statt die billig produzierten Perry Rhodan-Romane (Science-Fiction von Männern für eine männliche Zielgruppe) genauso zu verurteilen, hat er sie als Einstieg zur literarischen Sozialisierung bezeichnet.
 New Adult, Romantasy oder Dark Romance hingegen werden als »Kitsch und Klischee« abgewertet. Weibliche Gefühle – igitt!

Warum werden Frauenbücher abgewertet?

Das männliche Genre als Norm
Männlich zentrierte Literatur gilt seit Jahrhunderten als Maßstab. Geschichten aus männlicher Perspektive – Abenteuer, Krimis, Weltliteratur – definieren, was »echte« Literatur ist. Dagegen zählt alles, was Frauen gerne lesen, als nebensächlich, gar wertloser Mädchenkram, ganz ohne inhaltliche Reflexion.



Bezeichnend bleibt ein harsches Zitat von Marcel Reich‑Ranicki aus den 90ern: »Wen interessiert, was die Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen.«




Nicole Seifert hat in ihrem Buch Frauen Literatur. Abgewertet, vergessen, wiederentdeckt aufgezeigt, wie Autorinnen weniger verlegt, weniger rezensiert und dadurch auch weniger gelesen werden. (2)


Diese Abwertung zeigt sich oft in der Verwendung von Begriffen wie »banal«, »kitschig« oder »trivial«, wenn es um Werke von Frauen geht, während ähnliche Themen von männlichen Autoren als »alltagsnah« oder »tiefgründig« wahrgenommen werden.



Die Studie #frauenzählen der Uni Rostock, die 2018 über 2.000 Rezensionen aus 69 deutschen Medien auswertete, zeigt außerdem, dass Bücher von Männern doppelt so häufig besprochen werden wie Bücher von Frauen – und deutlich ausführlicher. Die Untersuchung belegt, dass Literaturkritiker zu 75 Prozent Bücher von Männern besprechen.


Zahlen sprechen Bände

Romantische, emotionale Sichtweisen werden gern als trivial oder verzichtbar abgetan.

Sie sind es aber nicht.

Denn diese nebensächliche Literatur hat der Buchbranche quasi den kommerziellen Arsch gerettet. Rebecca Yarros, Colleen Hoover und Sarah J. Maas haben zwar das Rad nicht neu erfunden, aber sie haben ihm einen ungeahnten Schwung verliehen. Es ist also vor allem den »Drachenpornos« und dem »Romantik-Kitsch« zu verdanken, dass der schon tot geglaubte Buchmarkt in den beiden letzten Jahren überraschende Rekordzahlen verzeichnete. (3, 4)



Dank Booktok und Bookstagram sind Romance und Romantasy nichts mehr, das frau unter der Bettdecke liest, weil es ja nur Unterhaltung ist und kein literarisches Gewicht hat. Aus belächelten Randerscheinungen für Frauen wurden Bestseller-Phänomene, die den Buchmarkt umkrempelten. Qualitativ und inhaltlich wird dabei die gesamte Bandbreite abgedeckt und auch das ist ganz natürlich.

Warum wir diesen »Schund« brauchen


Dieser kommerzielle Erfolg hat gesellschaftlichen Einfluss. Denn kulturelle Normen verändern sich, wenn Geschichten von Frauen massenhaft gelesen werden. Und natürlich passt das jenen Menschen nicht, die eher herablassend auf weibliche Bedürfnisse geschaut haben.

Da kann Denis Scheck noch so sehr wüten: Romantasy, New Adult und Dark Romance haben sich ihre eigene Existenzberechtigung erschaffen. Sie werden gelesen, weil sie die Leser:innen abholen. Sie erzählen nicht nur romantische Storys, sondern bieten den Leser:innen (ja, auch Männer lesen diese Romane) genügend Raum für Identität und emotionale Tiefe. Sie zeigen Heldinnen, die Macht und Selbstbestimmung ausleben und emotional erreichbar sind. Frauen mit klarer Stimme, Fehlern, Ängsten – Protagonistinnen, die Leser:innen mit ihrer Stärke und Verletzlichkeit erreichen.


BookTok, Bookstagram und ähnliche Communities geben jungen Frauen (und Lesern jeden Alters) die Möglichkeit, sich auszutauschen, zu vernetzen und ihren persönlichen Geschmack zu validieren. In Zeiten, in denen u. a. weibliche Sexualität noch immer tabubehaftet ist, schaffen diese Bücher sichere Räume, um Fantasien zu reflektieren und eigene Emotionen ernst zu nehmen.



Romance aller Art macht Frauen stark. Sie ist Spiegel und Seelennahrung zugleich. Sie nimmt sich das Recht heraus, kitschig und klischeebehaftet zu sein – weil es ihr am Allerwertesten vorbeigeht, ob irgendwelche literarischen Wichtigtuer sagen: »Kitsch ist Pfui-Bah!«


Sie schert sich nicht länger darum, was als wertvoll und lesenswert zu gelten hat, sondern überlässt es einfach uns.
Und vielleicht macht genau das den Menschen Angst, die uns ihre Regeln aufdrücken wollen.


Quellen:
(1) https://www.boersenblatt.net/news/boersenverein/drachenscheisse-bleibt-drachenscheisse-377153

(2) Nicole Seifert: FRAUEN-LITERATUR-Abgewertet-vergessen-wiederentdeckt (Kiepenheuer & Witsch) ISBN 978-3462002362

(3) https://www.theguardian.com/books/2025/feb/03/romantasy-and-booktok-driving-a-huge-rise-in-science-fiction-and-fantasy-sales

(4) https://theweek.com/culture-life/books/2024-romantasies

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