Wie man einen perfekten Roman schreibt – Das Patentrezept

Ha, reingefallen!
Es gibt kein Patentrezept. (Falls doch, teile es mir mit: ).
Es läuft nämlich so:
Ein Autorenkollege geht nach dem immer gleichen Plan vor: den ersten Twistplot gibt es bei etwa 50%, die Sexszene bei 60%, dann einen weiteren Page-Turner bei 70% und schließlich das Hinarbeiten auf das großes Finale. Er hat einen Odner voller fertiger Charakter, die er immer wieder verwendet und bei denen er nur noch die Name ändern muss: Die unterbezahlte Angestellte, die rein zufällig wie eine Sexbombe aussieht, der stinkreiche Boss mit der geheimnisvollen Vergangenheit, der hotte Bodyguard, der auf Fesselspiele steht (nennen wir ihn Mike), die intrigante Ex-Verlobte und und und …

Dann gibt es noch diese andere Autorenkollegin, die sich hinsetzt und erst mal zwei bis vier Monate lang an ihrem Plot tüftelt. Sie baldowert den Inhalt jedes Kapitels aus und der Plot liest sich dann etwa so: Ein stinkreicher Boss muss sterben und der Verdacht sollte auf Mike, den Bodyguard, fallen, wegen Spannung und so. Aber wie stirbt der Boss??? Stumpfer Gegenstand? Nee, zu einfallslos. Mike steht doch auf Fesselspiele. Vielleicht sollte ich den Boss also erdrosseln, damit Mike ordentlich in die Bredouille gerät. Frage: wie viele Minuten dauert es, jemanden mit einer Krawatte zu erwürgen? RECHERCHIEREN!!!
Erst wenn jedes winzige Detail feststeht, schreibt diese Autorin den ersten Satz: Es war ein sonniger Oktobermorgen, als die Polizei an meine Tür hämmerte, um mich wegen des Mordes an meinem Boss zu verhaften …

Einer anderen Autorin hingegen kommt beim Unkrautrupfen spontan die Idee,
, hat aber keine Ahnung, wie sie dorthin kommen soll. Also startet sie mit „Der Tag, an dem  ein sonniger Oktobertag …“ und lässt sich überraschen.
Möglicherweise bin ich diese Autorin.

Kann ich nicht.
Ich würde wahnsinnig gerne sagen können: „So, in vier Wochen ist die Rohfassung fertig und drei Wochen später habe ich ein veröffentlichungsreifes Buch.“
Das, was dabei herumkommt, folgt einem altbewährten Schema, von dem man sich keine abweichung erlauben darf, wenn man den Zeitplan einhalten möchte. Daran ist nichts Falsches, außer, dass man bei der dritten Hot Guy-Millionärsromanze oder dem fünften alkoholabhängigen Ermittler auch als Autor dezente Langeweile verspürt.
Ich verehre den Schöpfer von John Sinclair, der zuverlässig jede Woche knapp hundert frische Seiten zum Geisterjäger auf den Markt gebracht hat (und noch ein paar Monatsheftchen und Specials). Gut, da blieb manchmal die Logik auf der Strecke, weil man innert sieben Tagen keine Zeit finet, um über Details nachzusinnen. Die Charaktere sind gut oder böse, die Welt ist ordentlich in Schubladen sortiert.
Finde ich supergeil. Kann ich aber ums Verrecken nicht.
Meinen krestiven Prozess könnte man getrost als Heimsuchung bezeichnen.
Ich nehme mir ein grandioses Projekt vor und muss mir ein Jahr später eingestehen, dass ich mich in etwas gründlich verrannt habe, das es schon tausendmal gegeben hat. Klar – ich könnte es durchziehen. Wäre aber nicht mehr als netter Shice.
Ich kritzle beim Seriengucken irgendeine Szene, die mir in den Sinn kommt, auf den Rand eines Bierdeckels – irgendwas mit einem dreibeinigen Hund und einer Straßenmusikerin – und hab am Ende einen Roman namens DER WOLF IN MEINEM HERZEN.
Ich quäle mich mit einem schwierigen Helden herum, der viel mehr Zeit verlangt, als ich ihm geben möchte – Da draußen warten Leser auf das nächste Buch, aber er pellt sich ein Ei darauf. Ich mag ihn und ich hasse ihn.
Knopfdruckschreiben und alle zwei Monate pünktlich einen Roman auf den Markt werfen: Das kann ich nicht.
Ich freue mir ein Bein ab, wenn Leute mir schreiben, dass sie meine Bücher zum x-ten Mal gelesen haben. Der LUCKY BASTARD wird immer noch von neuen Lesern entdeckt, obwohl er schon ein paar Jährchen auf dem Bucke hat. Echt jetzt – Wahnsinn!

Für mich ist jedes Manuskript kein Manuskript, sondern eine Acherbahnfahrt ins neblige Ungewisse. Es kann rasant abgehen, es kann aber auch ein Höllentrip werden. Ich weiß nicht, was mich unterwegs erwartet. Von links macht es plötzlich Buh! und rechts tut sich ein unerwarteter Ausblick auf ein märchenhaftes Tal auf. Und wenn ich denke, dass ich das Ziel erreicht habe, grapscht mich der Protagonist an der Hand und zieht mich ins Dunkle, um mir Dinge zu zeigen, von denen ich nicht einmal ahnte, das es sie gibt.
Wenn ich zu schreiben beginne, weiß ich zwar ungefähr, wo enden könnte, aber ich habe null Ahnung, was mir unterwegs alles zustoßen mag.
Meine Charaktere sind wie echte Menschen. Sie wollen nicht auf zwei Din A 4-Blättern zusammengefasst werden. Ich kenne ihr Aussehen und ein paar Eckdaten. Ihr wahres Ich zeigen sie erst, wenn sie zu dem Schluss gelangt sind, dass sie mir vertrauen können. Dan verschleppen sie m ich in ihre Welt. Dafür reichen zwei Monate nicht aus.

Wie lange schreibt man an einem Roman?
Frag Google und du bekommst tausend Antworten. Jede ist korrekt, aber kaum eine wird dich befriedigen. Am Ende dauert es so lange, wie es eben dauert. Im Self-Publishing fühlen sich viele Autoren genötigt, alle sechs bis acht Wochen was Neues zu veröffentlichen. Kann man machen. Muss man nicht. Das meiste ist unterhaltsamer Schrott, sorry.
Ich „schaffe“ zwei bis drei Romane pro Jahr. Das ist für mich persönlich die perfekte Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Kreativität.

Wenn mein neues Buch gerade zwei Tage draußen ist und mir Leute schreiben: „Hey, hab’s durcgelesen. Wann kommt die Fortsetzung? Mach, hinne, Frautorin!“, dann ziehe ich eine Fleppe.
Bis zur Veröffentlichung habe ich mich durchaus gequält.

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