Baby an Bord oder warum Weeds keinen dicken Bauch bekommen wird

Es kommt ja öfter mal die Frage auf, wann French denn endlich mal einen Mini-French auf seinen Knien schaukeln darf. Meine Antwort lautet: Glaubt mir, ihr wollt, dass ich so etwas schreibe.
Die Gründe sind simpel. Ich glaube erstens nicht, dass eine Frau nur dann Erfüllung im Leben finden kann, wenn ihr Uterus zum Zwecke der Fortpflanzung benutzt wird.
Zweitens: Für Einprozenter ist eine Elternteilzeit nicht vorgesehen. Sobald Weeds Mama wird, ist ihre Geschichte im Grunde auserzählt und sie wird praktisch unsichtbar.
Drittens bin ich gänzlich ungeeignet, einen Roman über Familienglück zu schreiben. Ich hab’s echt nicht so mit Mutterschaft und Kindern. Es gibt Autorinnen, die sind auf Familienromane spezialisiert. Ich nicht. Ich schreibe spannende Romance, in der meine Figuren ordentlich was mitmachen müssen, bevor sie ihr Gegenstück finden. Mit Emmchen, Laura und Kessis dickem Bauch habe ich mein literarisches Fortpflanzungssoll erfüllt.
Würde ausgerechnet ich ausgerechnet French zum Vater machen, käme eine Grande Catastrophe dabei heraus, die echt keiner lesen will.
Falls ihr mir nicht glaubt, folgt hier der Beweis.
(Sagt nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.)

Saure Milch

»Wie alt ist er jetzt?«, brüllt Shade gegen die Musik an, die überlaut aus den Boxen hämmert.
»Fünf Monate. Schon fast ein großer Junge.« French kann es immer noch nicht fassen, wie schnell die Zeit vergeht. Jedes Mal, wenn er nach Hause kommt, scheint sein Kleiner wieder ein Stück größer und schwerer geworden zu sein. »Man kann ihm beim Wachsen förmlich zusehen.«
»Um das zu wissen, müsstest du öfter daheim sein«, merkt Ghost an. »Ich hab Weeds schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Lebt sie überhaupt noch?«
»Oder beschweren sich die Nachbarn bereits über einen seltsamen Geruch aus eurem Haus?«, ergänzt Dammit.
»Du bist nicht witzig, du Arsch!«, faucht French. »Ich kann auch nichts dafür, dass Pilgrim Security zurzeit so viel Arbeit hat. Einer muss den Job schließlich machen.«
»Sei nicht so ne Mimose. Zeig lieber mal die Fotos her«, fordert Shade.
Voller Stolz zückt French das Smartphone und präsentiert die Unmengen an Bildern, die er von Klein-Frenchy geschossen hat. »Süß, oder? Er hat schon richtig Kraft in den …« In den Lungen, will er sagen. »In seinen kleinen Ärmchen. Er wird mal ein echter Kämpfer.«
»Der Arme sieht ganz aufgedunsen aus. Habt ihr ihn mit der Luftpumpe aufgepumpt? Er ist ja knallrot im Gesicht.« Shade reicht das Handy an Preacher weiter.
Der murmelt: »Niedlich. Was ist das da in seinem Mundwinkel? Sieht aus wie geronnene Milch. Kann man das nicht wegputzen?«
»Er hat ein Bäuerchen gemacht«, grummelt French. »Babys tun so etwas.«
Chrissy, die neue Clubmaus mit der kastanienroten Mähne, neigt ihre Lippen zu seinem Ohr und wispert: »Hey, Enforcer, soll ich dir noch etwas zu Trinken bringen? Oder kann ich dich anderweitig glücklich machen?« Sie streicht über ihre Korsage, die ihre straffen Brüste perfekt in Szene setzt. Chrissy versteht es, sich sexy, aber nicht billig zu kleiden. Und sie macht keinen Hehl daraus, dass sie French nicht von der Bettkante schubsen würde.
Er begegnet Ghosts aufmerksamem Blick und sagt mit einem Seufzer: »Bring uns nur eine Flasche Whiskey, Süße.«
Ihre Fingernägel kitzeln seinen Nacken, bevor sie mit ihrem Raubkatzengang davongeht. Er ist nicht der einzige Mann im Clubhaus, der auf ihren knackigen Hintern starrt.
Stick nimmt dem Prez das Smartphone ab und klickt sich durch die Galerie. »Wow, Weeds sieht ja ganz schön fertig aus. Warum zeigt sie dir den Mittelfinger? Sag ihr, sie soll sich mal die Haare waschen. Man könnte meinen, sie hat sich ein Krähennest aufgesetzt.«
»Noch eine Bemerkung über die Haare meiner Frau und du findest dich mit dem Kopf zuerst im Klo wieder«, droht French. »Der Junge schläft zurzeit nicht so gut, er hält sie die ganze Zeit wach.«
»Dich offenbar nicht«, sagt Ghost mit zusammengekniffenen Augen.
»Weeds kriegt das besser hin als ich. Mutterinstinkt.« Er stürzt den Inhalt seines Glases hinunter und hält nach Chrissy Ausschau. Natürlich nur, weil er Nachschub braucht.
»Der Kleine sieht dir gar nicht ähnlich«, stellt Dammit grinsend fest. »Da hat er echt Glück gehabt.«
»Er hat meine Nase!«, rechtfertigt sich French. »Guck mal genauer hin.«
»Nein, eindeutig nicht deine Nase. Die Ohren, ja, aber nicht deine Nase. Du hast echt potthässliche Ohren, Enforcer.« Dammit duckt sich rechtzeitig und schiebt das Handy zu Domino hinüber.
»Warum hat der Kleine denn so komische Flecken am Hals?«, will der wissen.
»Eine kleine Allergie, Neurodermitis oder so. Nichts Schlimmes«, antwortet French, obwohl er keine Ahnung hat, ob Neurodermitis schlimm ist. Er zupft an seinem Ohrläppchen. Von wegen potthässlich. Sein Sohn ist bildschön. Wenn er nicht gerade weint. Oder Bauchschmerzen hat und weint. Oder sich erschreckt und weint. Oder seinen Schnulli verliert und weint. Klein-Frenchy ist ein sensibler Junge. Er braucht auch bemerkenswert wenig Schlaf. Gute Voraussetzungen für ein Leben als Bullhead.
»Diese Flecken am Hals sehen nicht gut aus. Ihr solltet mit ihm zum Arzt gehen«, merkt Preacher an.
»Waren wir schon. Also, Weeds war; ich hatte leider im Laufhaus am Binnenhafen zu tun.« Sind seine Ohren überdurchschnittlich groß? Er hat seine Ohren nie so richtig im Spiegel betrachtet. Später wird er Chrissy … wird er Weeds fragen, ob sie seine Ohren hässlich findet.
»Am Freitag steht ein Run zum Jubiläum des East Coast-Chapters oben an der Ostsee an«, sagt Preacher. »Wir bleiben bis Sonntag. Ich könnte verstehen, wenn du lieber bei deiner Familie bleiben möchtest.«
»Ist schon okay, ich bin dabei.« Er bemüht sich um ein ergebenes Grinsen, doch insgeheim freut er sich auf ein Wochenende wie in den guten alten Zeiten. Auf eine lange Fahrt mit seinen Brüdern über die Landstraßen. »Weeds hätte sicher auch Lust, mitzukommen.«
Seine Freunde wechseln verstohlene Blicke.
»Nichts für ungut«, sagt der Prez. »Wir mögen Klein-Frenchy, ehrlich. Aber so eine Party ist nichts für Kleinkinder.« Er spricht nicht aus, was alle denken: Wir sind ein berüchtigter MC, keine verdammte Kita!
Die Frauen bleiben traditionell mit ihren Kindern zu Hause, wenn der Club auf Party fährt. Bullhead-Princesses sind schließlich keine vergnügungssüchtigen Rabenmütter, sondern nehmen ihre Mutterschaft ernst. Und auf Jamborees … Nun ja, wenn im Nachbarzelt stundenlang ein Baby schreit, kann das schon mal die Stimmung trüben vor allem, wenn man kurz zuvor bei der Bühnenshow jede Menge nackter Titten, fester Brüste und schlanker Taillen gesehen hat. Unwillkürlich fragt der frischgebackene Vater sich, wie die heißen Mäuse wohl aussehen werden, nachdem sie ihr zweites Kind zur Welt gebracht haben. Mit etwas Glück haben beide Sprösslinge sogar den gleichen Vater.

Gegen ein Uhr in der Nacht biegt French in die Einfahrt ein und stellt sein Bike hinter Weeds’ Volvo Kombi mit dem Aufkleber Baby an Bord ab. Für die Nacht wurde Regen angesagt, aber um seine Breakout in der Garage abzustellen, müsste er erst Weeds’ Auto umparken, anschließend seinen Pickup herausholen, den er extra da drin abgestellt hat, um seiner Frau die Sicht auf ihren geliebten, aber seit fast zwei Jahren unbenutzten Bobber zu ersparen. Das Motorrad ist in keinem guten Zustand, doch er findet momentan keine Zeit, sich darum zu kümmern.
Im Haus brennt Licht. Kaum hat er die Tür hinter sich geschlossen, kommt Weeds angeschlurft und drückt ihm seinen greinenden Sohn in den Arm. Unter ihren Augen liegen dunkle Halbmonde, ihr geblümtes Oberteil ist mit Flecken gesprenkelt.
»Hat er immer noch Koliken?«, fragt er so vorsichtig, als würde er sich auf einem Minenfeld vorwärtstasten.
»Ja. Der Arzt behauptet, meine Milch würde Stresshormone enthalten. Deswegen schläft der Kleine auch nicht länger als eine halbe Stunde. Ich hätte dem Arzt fast eine reingehauen, aber davon gehen die Koliken auch nicht weg.« Weeds hat Klein-Frenchy heute auf eine Milcheiweißallergie testen lassen. Der Arztbesuch muss für das Kind die Hölle gewesen sein. Für sie anscheinend auch, ihrem Gesichtsaudruck nach zu urteilen. »Du wolltest schon vor Stunden zu Hause sein.«
»Musste einen Job für Pilgrim erledigen. Danach hatte ich noch im Clubhaus zu tun.« Er fragt sich, ob er nach Whiskey oder Frauenparfum riecht. Stick hat seinen Geburtstag gefeiert, es ging hoch her. So gegen zehn Uhr hatten alle Clubmäuse blank gezogen und es wurde Titten-Bingo gespielt. Wie erwartet, blieb es nicht beim Bingo.
»Du stinkst nach Alkohol«, sagt Weeds prompt und schnuppert. »Und nach billigem Parfum. War heute nicht irgendeine Feier?«
»Mh.« Er trägt seinen weinenden Sohn durch das Wohnzimmer, wiegt ihn hin und her, auf und ab. »Wann wird das endlich besser? So ein Kind kann doch nicht eine Woche lang Bauchschmerzen haben?«
»Hat es auch nicht.« Sie folgt ihm. »Drei Tage lang ging es ihm gut. Das war, als du mit deinen Brüdern auf Tour in den Norden warst, um eure heiligen Clubangelegenheiten zu regeln.«
Er presst die Lippen aufeinander und drängt die scharfe Erwiderung zurück, die ihm auf der Zunge liegt. Sie wusste doch, worauf sie sich mit ihm einlässt. Er ist Bullhead, verdammt, und er wird immer Bullhead bleiben. Trotzdem kann er es sich nicht verkneifen, mit bissigem Spott zu fragen: »Soll ich Preacher fragen, ob ich Teilzeit-Member werden kann?«
»Das wäre doch mal eine Maßnahme. Dann könnte ich endlich mal wieder eine Nacht durchschlafen und Aufträge annehmen, statt allmählich zwischen Schnuller und Bäuerchen zu verblöden und mich zusammenzureißen, wenn der dämliche Arzt mir sagt, ich würde mein Kind mit Stress-Milch füttern.«
»Unser Kind«, verbessert er und betrachtet das gerötete, geschwollene Gesicht von Klein-Frenchy,.
»Schön, dass du das nicht vergessen hast. Wie sieht es mit den Einkäufen aus? Ich hatte eine Liste an den Kühlschrank gehängt.«
Fuck, die verdammte Liste hat er total vergessen. Mal wieder. Für den Club und für Pilgrim Security muss er momentan jede Menge Probleme lösen, die seine ganze Konzentration erfordern. »Ich dachte, du würdest dich um die Einkäufe kümmern«, sagt er lahm. »Du bist doch den ganzen Tag zu Hause und hast …«
»Sag jetzt nicht, ich hätte nichts zu tun.« Sie verzieht den Mund auf die gleiche Weise wie Klein-Frenchy, der an den Haaren seines Vaters zerrt. »Geh du mal mit einem zappeligen Kleinkind, das ununterbrochen wie eine Sirene heult, in den Supermarkt. Kannst du nicht wenigstens die einfachsten Dinge übernehmen?«
Da sind sie wieder, die Vorwürfe.
»Einer muss das verdammte Geld verdienen, um unsere Familie zu ernähren!«, erwidert er und schuckert den Jungen etwas zu energisch. Das Weinen steigert sich zu einem schrillen Crescendo, das in seinen Ohren schmerzt. Ein kleiner Fuß trifft ihn in der Magengrube. »Warum hört er denn nicht auf zu heulen?«
»Weil er furchtbare Bauchschmerzen hat.«
»Können wir nicht jemanden anrufen, der sich mit so was auskennt? Bossy weiß doch immer eine Lösung.«
»Bossy versteht nichts von babys. Im Übrigen ist sie im Clubhaus auf eurer Feier, die offensichtlich ziemlich wild verläuft«, erwidert sie bitter. »Sie hat mir ein paar Fotos geschickt, um mich abzulenken. Jedenfalls glaube ich, dass das ihr Plan war. Ich konnte ihre Worte nur mühsam entziffern.«
»Mist, stimmt. Bossy war ziemlich besoffen, als ich abgehauen bin. Sie hat drei Liter von ihrem Brain Burner zur Verfügung gestellt. Ist kein Tropfen übrig geblieben.« Hastig fügt er hinzu: »Ich schwöre, ich habe nichts von dem Gesöff angerührt.«
»Nein, ich weiß. Du hattest Wichtigeres mit deinen Fingern zu tun. Wer war denn die Rothaarige, mit der du dich offenbar köstlich amüsiert hast?«
Oberfuck. Er würde mit Bossy ein paar Takte reden müssen. »Die neue Clubmaus«, murmelt er widerstrebend. »Wir haben nur geredet.«
»Gebärdensprache, nehme ich an. Oder warum lagen deine Hände auf ihren beiden primären Geschlechtsmerkmalen?«
»Das war doch nur ein … ein Versehen! Nicht das, was du denkst!«, schnauzt er. Klein-Frenchy zuckt zusammen und beginnt wie wild zu strampeln.
»Du weißt doch gar nicht, was ich denke. Ich gehe schlafen.« Sie schlurft an ihm vorbei zur Treppe.
Mit Unbehagen blickt er ihr hinterher. »Das haben wir wohl gründlich versiebt, was, Kumpel?«, sagt er zu seinem Sohn, der es schafft, noch lauter zu heulen. »Deine Ohren sind übrigens nicht hässlich.«
Aber auch das tröstet Klein-Frenchy nicht.

Er muss zugeben, dass er sich das mit der Vaterschaft einfacher vorgestellt hat: Abends nach Hause kommen, eine glückliche Mama draußen im Gartenmit einem heißen Kuss begrüßen und dann den süßen, pausbäckigen Frenchman Junior durch die Luft wirbeln. Letzteres hat er genau einmal versucht. Klein-Frenchy hat ihn erst vollgekotzt und danach eine Stunde lang wie am Spieß geschrien.
Frenchman hat sich ein Buch namens Hurra, wir haben ein Baby! besorgt und kam nicht über das Inhaltsverzeichnis hinaus. Wochenbett-Depression, Drei-Monats-Koliken, Blähungen und Verstopfung und Einschlafprobleme … Verdammt, er wollte doch bloß einen Jungen haben, dem er das Motorradfahren beibringen konnte!
Weeds probiert sich derzeit durch sämtliche Tipps, stillt ihr quengelndes Kind quasi im Halb-Stunden-Takt, verzichtet auf ihre geliebte Mandelmilch und die Falafel und setzt das Baby keinen Reizen aus, damit es zur Ruhe kommt. Das wiederum bedeutet: keine Bullheads im Haus. French trifft seine Brüder im Corner Stable oder in einem der Striplokale, die dem Club gehören.
Sie beide haben sich auf das Kind gefreut, auch wenn er seine Frau gerne noch ein paar Jahre für sich allein gehabt hätte. Klein-Frenchy war ein Unfall gewesen. Auf ihrer Tour mit den Nomads nach Frankreich hatte Weeds ihre Pille im Hotel vergessen. Ein paar Monate später mussten sie feststellen, dass Kondome tatsächlich kein sehr sicheres Verhütungsmittel waren.
Während er sich wie ein Schneekönig gefreut hatte, war sie blass geworden. »Ich bin noch nicht bereit für Rückenschmerzen und herablassende Frauenärzte, die mir Stellen Sie sich nicht so an sagen«, hat sie gejammert. »Ich werde nur noch mit Müttern zu tun haben, die sich ausschließlich in Babysprache unterhalten und Breireste von ihrer Jeans kratzen. Deine Brüder werden mich Mama nennen und froh sein, dass ich mich nicht mehr in Schwierigkeiten bringen kann, weil ich ja jetzt eine Mutter bin und zu Hause bleiben muss.«
Der letzte Punkt, fand er, hatte durchaus etwas für sich. »Du übertreibst, Hübsche. Der ganze Club wird uns zur Seite stehen. Sie werden uns mit Stramplern und Spielzeug und bescheuerten Tipps überhäufen und du wirst dich vor Babysittern gar nicht retten können. Wirst schon sehen.«
Im Club gerieten alle aus dem Häuschen, als French verkündete, dass er Vater wurde.
»Endlich mal echter Rocker-Nachwuchs!«, brüllte Shade.
Natürlich boten fast alle, sogar Diesel, an: »Wenn ihr mal einen Babysitter braucht, dann sagt Bescheid.«
Tja, dieses Angebot hat nicht lange gehalten.
Wenn man zwischen Party im Corner Stable und ein-quengeliges-Baby-in-den-Schlaf-wiegen wählen kann, entscheiden sich erstaunlich viele für Sex, Drugs und Rock’n Roll.
Bossy hat ein einziges Mal auf Klein-Frenchy aufgepasst und danach konstatiert: »Ich tauge nicht für so klitzekleine Dinger. Ehrlich, ich war drauf und dran, ihn mit meinem Brain Burner ruhigzustellen«, hat sie rundheraus gesagt. »Wenn er fünf Jahre alt ist oder so, können wir gerne noch mal übers Babysitten reden. Aber falls Weeds mal ein paar freie Stunden braucht, schicke ich euch eines der Clubmädchen.«
Weeds würde ihr Kind niemals einer Rockerschlampe anvertrauen, das hat sie von Anfang an klargestellt. Dabei hat Chrissy, die Rothaarige, bereits mehrfach angeboten, auf Klein-Frenchy aufzupassen. Nicht ganz eigennützig. Sie baggert French an, seit sie im Corner Stable ist. Er müsste ein blinder Eunuch sein, um sie zu übersehen. Chrissy hat eine sensationelle Figur und eine aufsehenerregende Löwenmähne. Sie ist witzig und immer gut gelaunt. Es macht Spaß, mit ihr zu quatschen.
Zu Hause drehen sich alle Gespräche um Klein-Frenchy. Weeds’ Laune ist an den meisten Tagen nicht gerade sonnig. Sie vermisst ihre Arbeit als Fotografin. Sie vermisst es, mit dem Club auf Tour gehen zu können. Die beiden Male, die sie mitgefahren ist, musste sie wie ein Groupie auf Männerfang in ihrem Volvo dem Trupp hinterherfahren, mit dem weinenden Klein-Frenchy in seiner Babyschale auf dem Beifahrersitz. Der Junge verträgt Autofahrten nicht sehr gut. Das Innere des Wagens, der noch kein halbes Jahr alt ist, riecht hartnäckig nach Erbrochenem.
French hält sich für einen guten Vater. Wenn er daheim ist, kümmert er sich um Klein-Frenchy, trägt ihn geduldig auf und ab und singt ihm Metallica-Songs vor. Er räumt die Spülmaschine ein und wieder aus, bereitet das Fläschchen vor und erklärt seinem Sohn, warum eine alte Softail Evolution besser ist als eine moderne Twin Cam.
Das Problem ist nun mal, dass ein Tag nur 24 Stunden hat und der Großteil davon geht für den Club und Pilgrim drauf. Man kann nicht nur dann Member sein, wenn es einem zeitlich in den Kram passt oder die Frau es einem gestattet; der Club kommt immer an erster Stelle. Weeds weiß das. Und ist es nicht auch so, dass ein kleines Kind sowieso besser bei der Mutter aufgehoben ist?
Trotzdem streiten sie sich in letzter Zeit immer öfter. Über seine Abwesenheit, über die Wochenenden, die er jetzt im Sommer mit dem Club verbringt. Hier eine Party, dort ein Jubiläum, da ein Run. Er ist Führungsmitglied in einem Outlaw-Club und kein Krankenkassenangestellter; für ihn gibt es keine Elternzeit.
Er hat Weeds versprochen, an keinen Untergrundkämpfen mehr teilzunehmen. Das letzte, was sie und Klein-Frenchy gebrauchen können, ist einen Daddy im Krankenhaus. Er hält sich an sein Versprechen, aber er vermisst die Kämpfe. Die Trainingsstunden im Sportstudio helfen nur marginal, den ständig ansteigenden Druck in seinem Innern in Schach zu halten. Er befürchtet, eines Tages zu explodieren und etwas Schlimmes anzustellen.
Im Bett läuft zur Zeit auch nicht viel. Eigentlich gar nichts, um ehrlich zu sein. Weeds ist meist zu müde. Morgens zieht sie irgendwelche Klamotten über, die ihr in die Finger kommen, und trägt sie manchmal noch in der Nacht, wenn er heimkommt. Sie beklagt sich über ihr Haar, das nach krankem Baby riecht, und über ihre Figur, an der es seiner Meinung nach nichts auszusetzen gibt. Ihre Brüste sehen sexier aus, findet er. Aber er lässt seine Pfoten von ihnen, weil es ihm pervers erscheint, an der Nahrungsquelle seines Sohnes herumzuspielen.
Also verbringt er seine Freizeit immer öfter im Clubhaus, was auch keine gute Idee ist. Erstens kämpft er gegen sein schlechtes Gewissen an bei dem Gedanken, Weeds allein mit Kind zu Hause zu wissen. Zweitens sind da all die heißen jungen Dinger im Corner Stable, die keinen Hehl daraus machen, wie gerne sie sich von ihm flachlegen lassen würden.
Er hat dieses Phänomen schon öfter beobachtet: Sobald ein Member allein im Clubhaus auftaucht, weil die Princess zur Hausfrau und Mutter degradiert wurde, gilt der Mann als wieder verfügbar. Nicht wenige seiner Brüder nutzen das Angebot; nicht wenige Beziehungen gehen aus genau diesem Grund kaputt. Für viele Männer kommt erst der Club, dann das Bike, schließlich das Vergnügen und ganz zum Schluss die eigene Frau.
Im Rocker-Milieu haben Familien nur dann Bestand, wenn die Princess entweder sehr unabhängig ist oder so extrem abhängig von ihrem Mann, dass sie zähneknirschend ihren Platz akzeptiert. Weeds hängt seit der Geburt ihres Sohnes irgendwo dazwischen.
Er wird sie nicht betrügen, das hat er sich fest vorgenommen. Er möchte keiner dieser Scheißkerle sein, die nur an sich selbst denken. Aber er muss sich eingestehen, dass er sich in letzter Zeit vor der Heimfahrt drückt. Er fühlt sich schuldig für etwas, das doch gar nicht seine Schuld ist.
Sogar seine Jungshöhle hat er bereitwillig für das Kinderzimmer geopfert; der ganze Krempel steht jetzt um Keller.
Bei der Auswahl der Wandfarbe hatten Weeds und er ihren ersten heftigen Streit gehabt. Er wollte Hellblau und Dunkelblau und eine Bordüre mit Motorrädern, sie hielt es für sexistisch. »Du presst unser Kind in Rollenklischees!«, hatte sie gezickt.
»Es wird ein verdammter Junge! Möchtest du etwa, dass ich die Wände schwarz anstreiche und ein Totenkopf-Mobile unter die Decke hänge? Nein? Also nehmen wir Blau.«
»Wie wäre es mit einem hübschen GRÜN?«, schrie sie.
»Das ganze Haus ist voller Grün! Die Farbe hängt mir allmählich zum Hals raus. Wir nehmen Blau, Basta.«
»Und was, wenn er von deinem Schubladen-Denken ein Trauma bekommt? Vielleicht ist er schwul und fühlt sich den Rest seines Lebens minderwertig, weil er deinen Männlichkeits-Ansprüchen nicht gerecht wird. Vielleicht ist er ein Mädchen gefangen in einem Jungskörper, aber wegen diesem ganzen blauen Mist wagt er nicht, mit uns darüber zu reden, dass er auf eine Geschlechtsumwandlung sparen möchte.«
»Du spinnst doch, Weib«, hat er unbehaglich geknurrt und ihren anschwellenden Bauch betrachtet. Da drin steckte ein ganz normaler Junge. Oder nicht? French hätte nichts gegen einen schwulen Sohn, ehrlich nicht.
Bei den No Nombres gab es einen Typen, den alle nur den Hinterlader nannten. Der Kerl musste sich den einen oder anderen blöden Spruch gefallen lassen im Stil von: »Ich drehe dir lieber nicht meinen Arsch zu, nichts für ungut, Kumpel«, aber French hatte kein Problem mit dem Typen. Man traf sich auf Partys, nickte sich zu und kümmerte sich um seinen eigenen Kram.
»Denkst du wirklich, dein Sohn könnte schwul sein?«, hat er vorsichtig gefragt.
»Unser Sohn«, verbesserte Weeds. »Den wir lieben werden, egal, welche Neigungen er hat. Wenn er gerne Mädchenkleider tragen möchte, dann soll er es in Gottes Namen tun.«
An dieser Stelle hielt er es für angebracht, vom Thema abzulenken. »Was hältst du von orange und rot und einer Bordüre mit bunten Luftballons?«
Mit dem Kinderzimmer hätten sie sich noch Zeit lassen können, denn Klein-Frenchy verbringt die Nächte im Schlafzimmer. »Direkter Elternkontakt kann bei Schlafproblemen Wunder wirken«, hat der Kinderarzt gesagt, der vermutlich keine eigenen Kinder hat, denn sonst hätte er gewusst, was er damit anrichtete. French pennt daher meist unten auf dem Sofa, weil er Angst hat, aus Versehen das Baby zu erdrücken, manchmal auch im Clubhaus, wobei er darauf achtet, um fünf Uhr morgens aufzustehen und nach Hause zu rasen.
»Bald bist du aus dem Gröbsten raus«, sagt er nun zu seinem Sprössling, dem immer noch Tränen aus den zusammengekniffenen Augen kullern. »Wenn nicht, dann haben wir beide ein Problem, Kumpel.«
Klein-Frenchy verstummt endlich, doch bevor sein Vater aufatmen kann, erbricht er säuerliche Milch über die Vorderseite der Kutte.
»Das war jetzt echt nicht nötig«, murrt French und hält das Kind auf Armeslänge von sich. »Weeds!«, brüllt er. »Weeds! Dein Sohn hat mich schon wieder vollgekotzt! Was soll ich jetzt machen?«
Er bekommt keine Antwort.

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