5 Dinge, die das Schreiben verkomplizieren

Wir Autoren haben es schwer. Seeehr schwer. Tag und Nacht sitzen wir in unserer Klause, die nur über eine 148 Kilometer lange Schlagloch-Schotterpiste erreichbar ist (und nur mit einem Amphibienfahrzeug – wegen des reißenden Flusses, der uns von der Zivilisation trennt), starren auf den von Kerzen beleuchteten Monitor, knabbern an trockenen Brotkanten und trinken Regenwasser. Unser einziger Gesprächspartner ist eine Wühlmaus, die sich durch die Bodendielen bis in die Hütte gegraben hat sich ein kuscheliges Nest in deinem Bett gebaut hat. Die Wühlmaus war schwanger. Drölfziglinge.
Gut, das mit Schotterpiste ist dezent übertrieben. Das nächste Dorf samt Supermarkt ist läppische drei Kilometer von meiner Schreibklause entfernt und irgendwie kennen mich dort alle. Ich habe eine gewisse Berühmtheit erlangt. Nein, nicht wegen meiner Bücher (hier liest man nur die Ankündigung der örtlichen Jägerschaft: Achtung: Wühlmaus-Treibjagd am Wochenende!) Sondern eher, weil ich im Umkreis von tausend Kilometern die einzige tätowierte, harleyfahrende Frau bin, die mit Pyjamahosen aufs Möppi steigt, um Brötchen zu holen.
Auf dem Land, wo sich meine Schreibklause befindet, ziehen sich die Dorffrauen ein Kostüm an und frisieren sich, bevor sie die Mülltonnen zum Straßenrand rollen.
Im Ruhrpott hingegen würdigt man dich nicht mal eines Blickes, wenn du im Bademantel und mit rosa Kuscheltier unter dem Arm zum nächsten Kiosk schlurfst und dabei Arien singst.
Wenn du in deinem Vorgarten kein nostalgisches Deko-Fahrrad mit bepflanztem Blümchenkorb am Lenker stehen hast, samstags lieber auf Tour gehst statt die Gehwegfugen auszukratzen und den örtlichen Getränkemarkt nicht mit einem wöchentlichen Großeinkauf unterstützt – tja, schlechte Karten.

Aber ich schweife ab.
Also: es gibt 5 essentielle Gründe, die einem Schreiben dazwischengrätschen und jedem Autor das Leben schwer machen. Beim Debütroman weiß man davon noch nichts, aber dann …

1. Social Media.
Du hast eine gewisse Bekanntheit erlangt und diese musst du pflegen. Sei es nur, indem du Bilder deines Mittagessens (kalte Ravioli aus der Dose) oder einen lakonischen Satz deiner Lektorin postest. Wenn du zwei Wochen nichts von dir hören lässt, geht man davon aus, dass du gestorben bist und keine weiteren Romane von dir zu erwarten sind.
Also knabberst du stundenlang an deinen Fingernägeln, weil du echt mal wieder was bei Insta posten solltest (Insider behaupten, es reiche, 2-3x am Tag etwas Eloquentes von sich zu geben und vielleicht eine Story. Ich hasse euch, Insider!), dir zu Twitter absolut Null einfällt oder du wegen Funkstille massenhaft auf FB entliked wirst.
Aber mal ernsthaft: Wir Autoren haben nicht viel zu erzählen. Heute mal wieder ein paar Schlaglöcher auf der Schotterpiste aufgefüllt oder Die Wühlmaus ist schon wieder schwanger* sind jetzt keine weltbewegende Neuigkeiten.
Ehe der Autor es sich versieht, ist es früher Abend und der Hund, der vergeblich auf sein Futter gewartet hat, hat sich selbst beigebracht, wie man den Pizzalieferdienst anruft und zwei extrascharfe Sardellenpizzenbestellt. Sie müssen mit dem Hubschrauber in die Wildnis geflogen werden. Die Lieferkosten verschlingen die Einnahmen deines letzten Romans.

2. Der Kaffee ist alle.
Supergau.
Du durchstöberst die Küchenschränke, findest Kamillenteebeutel aus der Zeit der Weimarer Republik und brühst dir stattdessen ein paar gesammelte Eicheln auf. Du bekommst Durchfall und verbringst die nächsten 18 Tage auf der Keramik (die in der Schreibklause selbstverständlich ein hölzernes Plumpsklo am Waldrand ist und von hungrigen Bären umzigelt wird – der Dramatik halber).

3. Erwartungen.
Ein paar Leser schreiben dir, dass die Nebenrolle des Tankwarts in deinem vorletzten Roman förmlich nach einem eigenen Roman SCHREIT. Aber bitte ohne Sex.
Mist. Du arbeitest gerade an einer Geschichte über eine oberbayrische Umweltaktivistin, die Wühlmäuse aus deutschen Vorgärten rettet und dabei auf einen dominanten Trilliardär trifft, der mitten im Dorf ein Einkaufszentrum errichten will. Die beiden hüpfen auf Seite 34 das erste Mal gemeinsam in die Kiste (garantiert nicht das letzte Mal, aber ohne Wühlmäuse).
Du guckst also auf dein fast fertiges Manuskript und denkst bedröppelt: Fukk, niemand wird diesen Roman lesen wollen. Zack, Löschtaste. Dann grübelst du über den Tankwart nach und stellst fest, dass du den Blödheini nicht ausstehen kannst. Nach Feierabend putzt er Zündkerzen mit alten Zahnbürsten und er trägt eine grässliche rote Latzhose. Und Sex darf er auch nicht haben. Was soll man mit so einem Typen anfangen? Alles, was dir einfällt, ist ein Redneck-Slasher-Horrorroman. Damit wirst du dir keine Freunde unter deinen Lesern machen.

4. Noch mehr Erwartungen.
Wenn du einen Roman herausgebracht hast, dann könnte es sein, dass deine Leser eine Fortsetzung erwarten und dir das auch deutlich kommunizieren. Wenn du zufällig planst, jetzt aber mal was ganz anderes schreiben, zum Beispiel eine niedliche Hasengeschichte, nachdem du vorher dutzendweise DüsterDarkRomance veröffentlicht hast, dann sei stark. falls du nicht stark bist, hilft es, alle eingehenden Nachrichten zu ignorieren, bis dein Hasenroman fertig ist. Danach musst du noch stärker sein.

5. Der Alltag.
Zu Anfang mag man es nicht glauben, doch wenn man tiefer im Autorendasein drinsteckt, stellt man eines Tages erschrocken fest, dass das Drumherum mehr Zeit verschlingt als die eigentliche Schreibarbeit.
Man muss Bücher signieren und hübsch verpacken. Man ärgert sich über DHL, deren Server mal wieder zusammenbricht, just nachdem man 87 Versandadressen eingegen hat und die Etiketten ausdrucken will. Alles wieder von vorn.
Du bekommst einen Hinweis, dass sich wieder die DSGVO geändert hat und deine Webseite nun quasi illegal sei. Außerdem musst du deine Versandkartons und die Knackfolie beim bundesweiten LUCID-Register eintragen und deine Gebühren an den zugehörigen Dienstleister zahlen, sonst Fegefeuer. Um dich zu beruhigen, knackst du ein paar hundert Knackfolien-Luftblasen.
Man muss die Rechnungen ins Buchhaltungsprogramm einpflegen und stellt dabei fest, dass man bei der letzten Umsatzsteuer aus Versehen ein paar klitzekleine Nullen zu viel getippt hat und jetzt gerne 2,5 Millionen erstattet haben möchte. In diesem Augenblick wird deine Haustür vom Einsatzkommando Perfider Steuerbetrug aufgebrochen und Tränengasbomben fliegen in die Schreibklause.
Dein E-Mail-Postfach meldet 385 eingegangen Nachrichten. Einige Leser stellen komplexe Fragen zu DNA-Analysen* (hier ein Hinweis: DNA-Analysen ist teuer und werden selten eingesetzt; nur dann, wenn ein besonderes öffentliches Interessen an einem Fall besteht und dann kann es ein gutes Jahr bis um Ergebnis) oder bestehen partout darauf, einen Roman mit einem Tankwart zu bekommen, ansonsten drohe dir ein Shitstrom.
Du musst noch die Satzarbeit für die Neuauflagen deiner Taschenbücher erledigen. Zeile für Zeile schiebst du liebevoll hin und her und Ende hast du sieben Seiten zu viel und kannst wiieder von vorn beginnen.
Die Druckerei nörgelt, weil sie die Druckdaten für das Taschenbuch braucht und sich das Zeitfenster unerbittlich schließt.
Die Deutsche Nationalbibliothek und die Landesbibliothek nörgeln auch, weil du ihnen noch keine Pflichtexemplare geliefert hast. Diese Exemplare sind sehr wichtig, denn ohne deinen letzten Roman “Willige Stuten vom geilen Tankwart besamt” wird das literarische Erbe Deutschlands zusammenbrechen. Mach dir nichts vor: Deine Pflichtexemplare landen nicht in hohen eichenen Regalen in einer wunderschönen Jugendstilhalle. Sie werden in einem Bunker archiviert, wo sie nie wieder herauskommen.
Du schreibst all die Portale an, auf denen deine Bücher illegal vertrieben werden, und benutzt dabei Worte, für die deine Mutter dir den Mund mit Seife ausgewaschen hätte.
Dann fällt dir ein, dass du heute noch kein Frühstück hattest. Es ist 15:34 Uhr und der Hund hat sich selbst beigebracht, wie man die Mikrowelle benutzt. Außerdem hat er den Tierschutz angeschrieben. Hilfä!! Frau hällt mich Fesst! Mich raushohlen Bittä! An seiner Rechtschreibung muss er noch arbeiten.
Ein bärtiger Unbekannter klopft an dein Fenster und behauptet, er sei dein Mann. Seit wann hast du einen …? Oh, verdammt! Du hattest versprochen, mit ihm ins Kino zu gehen und die Premiere von Zurück in die Zukunft zu gucken. Möglicherweise ist dieses Versprechen schon ein paar Tage alt.
Du nimmst dir fest vor, dich mal wiedere um dein Privatleben und deine Hobbys zu kümmern. Du bist fest überzeugt, dass du Hobbys hast.
Der Wordcount deines Schreibprogramms zeigt eine vorwurfsvoll blinkende Null. Schreiben ist doch ein schönes Hobby. Entspannend und so. Du jagst den bärtigen Mann mit der Schrotflinte fort, dann packst du hastig das Paket für die Nationalbibliothek und legst noch ein paar süße Wühlmäuse dazu. Zwei Fliegen mit einer Klappe, denkst du zufrieden und überlegst, einen Roman über einen Nationalbibliotheksarchivar zu schreiben, der sich in den unterirdischen Gängen des Archivs verläuft und plötzlich auf den Schwanz einer mutierten Wühlmaus tritt.

*DNA-Analysen sind teuer und werden nur dann eingesetzt, wenn ein besonderes öffentliches Interessen an einem Fall besteht und dann kann es ewig dauern, bis ein Ergebnis vorliegt. Die Labore sind stark überlastet und die meisten Dienststellen haben ein sehr eingeschränktes Budget. Darum wird man z.B. nicht für einen toten Rocker, der auch noch seine Brieftasche dabei hat, aus grundlosem Spaß einen DNA-Abgleich beauftragen.
Ich weiß, Fernsehen und Krimis suggereieren gerne, dass DNA-Analysen quasi zum Ermittlungsalltag gehören. Tun sie aber nicht.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Warenkorb
Nach oben scrollen