Nächtliche Heimsuchung – oder woher kommen all diese verd… Ideen?

In einem Interview wurde ich letztens gefragt, woher ich all meine Ideen für meine Romane bekomme. Ich habe dann, wie jeder Autor, gesagt, dass sie einfach so aus dem Nichts auftauchen. Man wandelt harmlos umher und wird plötzlich unter einer Ladung großartiger literarischer Ergüsse begraben. Klingt gut, oder?
Okay, ich habe gelogen.

Die Wahrheit sieht ganz anders aus … Fragt die Höllenreiter!

Gestern gegen 03:17 Uhr wurde ich von genialen Einfällen aus dem Schlaf gerissen, die dringend niedergeschrieben werden wollten. Also schlurfte ich in meinem gestreiften Häschen-Pyjama, mit Koboldfrisur und Kaffeetasse hinüber ins Studio, fiel mit dem Kopf auf die Schreibtischplatte und tippte im Halbschlaf das nieder, was sich bei Tageslicht möglicherweise als koreanische Gebrauchsanweisung für eine militärische Drohne entpuppen würde.
Egal.
Irgendwann war meine Tasse leer. Ich schleppte mich in die Büroküche und verfiel in Panik, als ich feststellen musste, dass mein Koffeinvorrat gerade noch für ein Mokkatässchen reichte. Wie zum  …?
Bildschirmfoto 2015-03-22 um 20.21.47Die Erklärung für den unerklärlichen Kaffee-Schwund bekam ich, als ich in meine Schreibklause zurückkehrte.
Zwei Besucher fläzten sich in den Lehnstühlen, tranken meinen  – meinen!  – Tre Forze Café, als wäre er lauwarmes Wasser, und musterten mich, als wäre ich eben aus den Bett gefallen  … na gut  …
»Du siehst vielleicht scheiße aus, Schreiberin.« Der tätowierte Kahlschädel musterte mich abschätzig.
»Na, du bist auch nicht gerade der Bachelor«, gab ich so bissig zurück, wie mein verschlafener Zustand es erlaubte.
Gelal grinste, stellte seinen leeren Porzellanbecher auf den Kopf und schüttelte ihn. »Im Übrigen ist dein Kaffee alle.«
»Drei Straßen weiter ist eine Tankstelle. Holt euch einen Coffee-to-go und belästigt gefälligst den Tankwart.« Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen. »Um diese Zeit empfange ich keine Gäste.« Und fiktive Gäste schon gar nicht, fügte ich in Gedanken hinzu.
»Ein Glück für die Gäste«, sagte Raym und mustert meinen Flanellpyjama. »Sind da etwa Häschen drauf? Alle Verlorenen, ihr Schreiber habt echt keinen Geschmack, was eure Garderobe angeht!«
Gelal beugte sich zu Raym und wisperte überlaut: »Wenigstens hat das Teil keine Lederflecken am Ellbogen wie beim ollen Fitzgerald.«
»Sehr komisch«, murrte ich. »Was wollt ihr?«
»Erstens«, Raym deutete auf meinen Monitor, »das da war gigantischer Bullshit. Ich habe es sicherheitshalber gelöscht, bevor du eine peinliche Dummheit damit anstellen würdest. Es veröffentlichen zum Beispiel.«
Ich fuhr herum und starrte auf den Bildschirm. Der Cursor blinkte auf einer jungfräulich weißen Fläche. »Du hast ein nicht reproduzierbares koffeininduziertes Meisterwerk in den Orkus geschickt, Höllenreiter!«, brachte ich hervor.
Raym schnaubte. »Nur weil ein Text einen zum Weinen bringt, muss es nicht ein Meisterwerk sein, Schreiberin. In diesem Fall waren es Tränen des Grauens. Du kannst mir später danken.«
»Ich werde dich aus meinem nächsten Buch rausstreichen«, grummelte ich.
»Womit wir beim zweiten Grund unseres Besuch wären.« Gelal lehnte sich vor und faltete die Hände. »Du hast da wieder was über uns geschrieben, nicht wahr?«
»Jepp. Geschrieben und veröffentlicht.« Ich versuchte mich vergeblich an die Geistesblitze zu erinnern, die ich vorhin noch im Halbkoma getippt hatte. Weg, einfach ausgelöscht!
»Schutt und Asche?«
»Hm?« Ich versuchte es mit dem cmd-z-Tastenkürzel, mit dem man die letzten Schritte wiederherstellen konnte. Netter Versuch, Schreiberin erschien auf dem Monitor.
»War es diesmal eine ordentliche Schutt-und-Asche-Geschichte?«, sagte er so aufreizend geduldig, als sei ich zurückgeblieben. »Du weißt schon. Armageddon, Armeen der Finsternis und all dies.«
»Klar war es das«, sagte ich abwesend und versuchte es erneut mit cmd-z. Wenn ich etwas lösche, dann gründlich las ich diesmal.
Haha  – danke, Raym. Ich warf ihm einen vernichtenden Blick zu; er inspizierte seine Fingernägel.
»Oder war es mal ein bisschen düsterer, mit Geheimnissen, die aufgedeckt werden müssen und Begegnungen der richtig finsteren Sorte?«
»Aber immer.« Nächster Versuch. Hartnäckig bist du ja, das muss man dir lassen. Ich rollte mit den Augen und gab auf.
Raym lächelte süffisant.
Gelal warf ihm einen missbilligenden Blick zu. »Weißt du, Schreiberin, das hat mich nämlich immer ein wenig gestört, dass wir in deinen Büchern eher einseitig dargestellt wurden. Vergnügungssüchtige Typen, die nur das Eine im Kopf haben.«
»Und? Wo ist das Problem?« Ich seufzte und schloss das Schreibprogramm. Es war mitten in der Nacht und ich redete mit Romanfiguren, die meine Texte löschten und meinen Kaffee wegtranken. Zeit, wieder ins Bett zu gehen. Dringend!
»Wir haben durchaus auch andere Facetten«, sagte Gelal. »Und falls es dir entgangen ist: Wir treiben nicht zum Spaß unser Unwesen in eurer Welt.«
»Sag bloß, ihr habt neuerdings einen Job.«
Die beiden wechselten einen Blick, Gelal schürzte die Lippen. »Ja  … das kann man so sagen. Einen Job. Durchaus.«
»Und was für eine Tätigkeit wäre das, bitteschön? Kneipen zerlegen? Niedliche blonde Mädchen auf alte Burgen verschleppen? Einem Autor seinen lebenswichtigen Kaffeevorrat wegsaufen?« Die letzten Worte betonte ich besonders und versuchte verzweifelt, mich daran zu erinnern, wovon mein letzter Roman um die Höllenreiter …
Raym kratzte sich am Kinn. »Das weißt du doch. Oder geht in deinem dritten Buch nicht genau darum? Um unseren Auftrag?«
»Auftrag?« Ich dachte angestrengt nach. Okay, ich zog ein annähernd nachdenkliches Gesicht, während in meiner Erinnerung Vakuum herrschte. Schließlich war es mitten in der Nacht und ich litt unter Koffeinentzug. Was genau hatte ich eigentlich über die Eidbrüder geschrieben? »Ihr habt das Buch doch gelesen, nehme ich an.«
Die beiden tauschten einen Blick. »Wir? Unser eigenes Buch? Nichts läge uns ferner.«
»Hm, wir haben vielleicht kurz einen winzigen Blick hineingeworfen, bevor du es veröffentlicht hast.« Raym zupfte ein Fusselchen von seiner Lederjacke. »Wollten nur sichergehen, dass du keinen Bullshit verzapfst.« Er grinst.
»Und – habe ich Bullshit verzapft?«, grollte ich.
»Nö. Wir haben die entsprechenden Passagen rechtzeitig abgeändert.«
Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder, öffnete ihn erneut. »Das  … Ihr habt  … BITTE WAS?«
»Klitzekleine Details, hier und da. Nichts von Belang.« Rayms Grinsen wuchs in die Breite. »Gelals bis dato unbekannte Facetten seiner Persönlichkeit fand ich übrigens sehr unterhaltsam. Die hab ich alle dringelassen.«
»Hab mich köstlich amüsiert«, knurrte Gelal. »Ehrlich, musste das sein, Schreiberin?«
Ich rieb mir über die Augenlider; sie hingen immer noch auf Halbmast. »Ich habe nur aufgeschrieben, was ihr mir erzählt habt, Jungs. Was kann ich dafür …«
»Das habe ich dir ganz sicher nicht erzählt! Die Leute bekommen ein völlig falsches Bild von mir.« Seine Augen färbten sich pechschwarz; kein gutes Zeichen. »Bin nicht wild darauf, mir meinen miesen Ruf zu versauen. Hab schließlich lange daran gearbeitet.«
»Och, um deinen Ruf mach dir mal keine Sorgen, Eidbruder.« Raym versucht vergeblich, ernst dreinzublicken.
Ah, jetzt wusste ich, wer mir all diese Ideen über Gelals weichen Kern in mein schlaues Notizbuch gekritzelt hatte. Die Handschrift war mir gleich so seltsam vorgekommen.
»Die Episode mit dem kleinen Höllenreiter, der durch den Tankstutzen seiner eigenen Maschine gequetscht wurde, muss offenbar auch noch geschrieben werden.« Gelal fixierte ihn grimmig. »Du solltest dir dringend mal die Haare schneiden, Wischmop.«
Raym neigte sich verschwörerisch vor. »Wenn er sauer ist, hackt der Kahlschädel jedesmal auf meiner Frisur herum«, flüsterte er. »Blanker Neid, im wahrsten Sinne des Wortes.«
Ich gab ein seltsames Geräusch von mir.
»Was du Frisur nennst, bezeichnen andere als Untergang der Zivilisation«, brummte Gelal. »Können wir jetzt zum Thema zurückkommen?«
»Was wollt ihr von mir hören?«, murmelte ich schläfrig, stützte den Ellbogen auf die Schreibtischplatte und das Kinn in die Hand. »Dass ich euch einen heißen, extrem spannenden Dark Urban Fantasy-Thriller mit einer Portion Verschwörung und einem Hauch Apokalypse geschrieben habe?«
»Das wäre ein guter Ansatz.« Gelal lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Und? Hast du? Denk nach!«
Mist, ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich da verzapft hatte! Ich setzte mein Pokergesicht auf. »Aber selbstverständlich. Kein Vergleich zu euren ersten beiden Büchern. Der absolute Wahnsinn in Schwarz, ein wahrer Pageturner mit Fingernagelgebeiße, feuchten Augen und einer Prise Schwefel. Ein Buch, das man nicht aus der Hand legen  …«
»Irgendwie fühle ich mich gerade verarscht, Schreiberin«, unterbrach Raym mich grollend.
Ich stöhnte auf. »Ihr habt doch in meinem Manuskript herumgedoktort, also wisst ihr am besten, worum’s geht.«
»Wir kennen deinen Hang zum, ehm, Verschlimmbessern, kurz, bevor alles in Druck geht. Hast du irgendwo noch schnell ein Einhorn untergebracht? Oder einen glitzernden Blutsauger?«
Ich starrte ihn an. »Bitte, was?«
»Glitzer. Du weißt schon.« Raym verdrehte die Augen.
»Naja  …«, sagte ich zögernd. »Sam ist schon ein bisschen flimmrig, oder nicht?«
»Sam trinkt Kaffee mit Haselnusssirup! Das ist alles, was es zu diesem Thema zu sagen gibt«, grollte Gelal. »Sollte er es je wagen, zu glitzern, stopfe ich ihm eine seiner heißgeliebten Tauben ins Maul. Ungerupft.«
Raym unterdrückte ein Prusten. »Josea würde dich lynchen, wenn du das versuchen solltest, Eidbruder.«
Gelal brummte etwas Unverständliches, vermutlich war es ein unübersetzbarer Fluch in Henochisch, und die Luft begann zu knistern. Aus meinem Rechner kam ein entsetztes Fiepsen; eine Meldung erschien auf dem Monitor: Selbstzerstörungsmodus gestartet. Dieser heimgesuchte Rechner verglüht in 59 Sekunden zu Asche. Drücken Sie ESC, um …
Eilig hämmerte ich auf die Escape-Taste. Die Meldung verschwand.
»Ich mag Sam.« Ich atmete durch. »Er ist nett.«
»Nett ist der kleine Bruder von Scheiße«, schnaubte Gelal und stupste gegen seine leere Tasse. »Wie wäre es mit noch einem Kaffee, Schreiberin?«
»Ihr habt ihn leergesoffen. Schon vergessen?« Ich seufzte. »Es gibt im Übrigen keine Einhörner in eurem Buch. Aber eine Menge schlechtes Wetter, einen finsteren Gegenspieler …«
»Und ein süßes, bissiges Löwenmädchen«, sagte Raym mit süffisantem Grinsen.
»Lass sie aus dem Spiel«, grollte sein Eidbruder.
»Sie hat dir den Arsch gerettet.«
»Schnauze!«
Wow, selbst ich zuckte unter Gelals Bellen zusammen, dabei schlief ich eigentlich noch. »Ist dir das, ehm, irgendwie peinlich, Gelal?«, fragte ich vorsichtig nach.
»Quatsch!«, gab er zurück. »Aber darüber, wer wem aus der Bredouille geholfen hat, müssten wir noch einmal eingehend reden.«
»Naja  …«, ich blätterte durch mein Notizbuch. »Da war diese schreckliche Episode an dem nächtlichen Bahnhof  …«
»Was ist mit der Sache in der miesen Rocker-Spelunke?«, warf er sofort ein. »Ich habe sie vor dieser Meute gerettet!«
»Sie sagt, du hättest sie beinahe erwürgt  …« Sein pechschwarzer Blick ließ mich sofort verstummen.
»Ein Missverständnis«, murrte er. »Ihr Benehmen ließ zu wünschen übrig.«
Raym feixte. »Ich glaube, sie hat’s ihm angetan« wispert er überlaut.
»Der Tankstutzen wartet immer noch auf dich, Eidbruder«, sagte Gelal mit drohendem Unterton.
Die Festplatte in meinem Computer rotierte verzweifelt in ihrem Gehäuse, ein Rauchfähnchen stieg aus der Lüfteröffnung auf. Ich räusperte mich. »Um noch mal auf diese Sache mit den Änderungen zurückzukommen, die ihr angeblich in meinem Manuskript  … Das habt ihr nicht wirklich getan, oder?« Mein Blick wanderte zwischen den beiden hin und her.
»Och  …«, sagte Raym.
»Nun ja  …«, meinte Gelal.
»Nur Marginalien.«
»Ein Komma hier, ein Pünktchen dort.«
»Einen winzigkleinen Dämon dazwischengeschoben  …«, murmelte Raym.
»Ein satanisches Rituälchen hier, unbedeutende okkulte Dingelchen dort, einige finstere Geheimnisse … Das Übliche.«
Wieder blieb mir der Mund offen stehen. Ich wusste nichts von Ritualen, okkultem Krempel oder Dämonen  – mal abgesehen von den fünf ungehobelten Kerlen, für die ich regelmäßig den Ghostwriter spielen durfte, wenn ich nicht in der Klapse enden wollte. »Ich muss das veröffentlichte Buch unbedingt lesen«, brachte ich hervor und blickte mich hektisch um. Ich hatte doch Belegexemplare …
»Ähm, ja, und der Umfang ist vielleicht ein klein wenig, nun, umfangreicher geworden als von dir gedacht«, fügte Raym.
Ich hielt inne. »Von wievielen zusätzlichen Seiten reden wir?«
Raym hatte den Anstand, verlegen dreinzublicken. »Eine Handvoll, sozusagen.«
»Einhundertachtundneunzig.« Gelal lehnte sich mit zufriedenem Lächeln zurück. »Wir waren kreativ, Schreiberin. Was man von dir nicht gerade behaupten kann.«
Ach. Du. Schande.
Was hatte ich da auf den Markt geworfen? Ich erhob mich mühsam, stützte mich auf dem Schreibtisch ab. »Ihr habt in meinem Buch herumgepfuscht  …«
»Das ist immer noch unser Buch. Unsere Geschichte.« Gelal zog seine Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie auf. »Du hast einige markante Details ausgelassen und wir haben sie wieder eingefügt. So what?«
»Mein Buch  …«, ächzte ich, tastete mich zum Buchregal und zog DEMONIZED III heraus. Warum war mir vorher nicht aufgefallen, dass es irgendwie dicker war als die beiden ersten Bände?
»Und ich war in der Nacht vor der Veröffentlichung noch kurz hier und habe Gelal ein bisschen im Sonnenlicht glitzern lassen.« Raym sprang auf und war schon an der Tür. Im gleichen Augenblick zersplitterte die Kaffeetasse direkt neben seinem Kopf und hinterließ einen unschönen Fleck in der frisch verputzten Wand. Er lachte.
»Ich rate dir, in zwei Minuten an der Stadtgrenze zu sein, Kleiner«, grollte Gelal. »Oder du wirst deinen Tank von innen betrachten dürfen. Hau ab!«
»War nett, mit dir geplaudert zu haben, Schreiberin«, rief Raym aus dem Treppenhaus. Ich hörte ihn die Stufen hinabpoltern, das Lachen hallte laut durch den Flur. Natürlich hatte er die Tür nicht hinter sich geschlossen.
Morgen würde mich der olle Schröder von gegenüber wieder mit seinem wässrigen Missbilligungs-Blick aufspießen und so etwas sagen wie: »Ihre nächtlichen, ehm, Herrenbesuche, Frau Cudd  … also, das geht langsam zu weit.«
»Ich glaube nicht, dass du glitzerst«, merkte ich an. »So weit würde selbst Raym nicht gehen.« Ich schlug das Buch auf und blätterte darin herum. Meine Brauen zogen sich zusammen. »Ein widerlich stinkender Hund? Der See der Tränen? Eine Séance, zum Deibel? Und woher kommt dieser Exorzist? Ich kann mich nicht  …«
»Aber wir«, unterbrach Gelal mich. »Und das ist die Hauptsache. Du hättest nur ein nettes Heile-Welt-Unterhaltungsheftchen auf den Markt geworfen. Dass es dort draußen«, er deutete zum Fenster, »weitaus gefährlicher und düsterer zugeht, wissen die wenigsten. Als Autorin trägst du eine verfluchte Verantwortung!«
»Ihr macht aus mir eine Verschwörungstheoretikerin«, brummte ich. Mein Auge blieb an einem Absatz hängen. »Und wer zum Teufel ist dieser  …?«
»Ist doch egal. Der Drops ist gelutscht, Schreiberin.« Gelal zog mir das Buch unter der Nase weg und warf es in die Ecke. »Sag mir lieber, welche Story du als Nächstes verdrehen willst.«
Ich betrachtet ihn missmutig. »Das werde ich dir garantiert nicht auf die Nase binden, Popeye.«
Er grinste. »Willst du uns aus deiner Klause aussperren? Keine Chance. Verzapf bloss keinen Mist, hörst du?« Er ging zur Tür und drehte sich auf der Schwelle um. »Und vergiss das nächste Mal den Kaffee nicht. Koffein ist gut für die Stimmung. Oder willst du mich lieber schlecht gelaunt?«
»Hau ab!« Ich suchte nach einem Wurfgegenstand, der keinen allzu großen Schaden anrichten würde, knüllte schließlich einen Notizzettel zusammen und schnippte ihn durch den Raum. Unbefriedigend lautlos landete er vor Gelals Stiefelspitze.
Gelal blickte stirnrunzelnd auf das Papierkügelchen hinab. »Oh Mann, hoffentlich schreibst du besser, als du wirfst.« Und schon war er seinem Eidbruder gefolgt – selbstverständlich, ohne die Tür zu schließen. Ein eisiger Luftzug wehte durch die Räume und ließ mein Papiergeschoss über den Boden kullern.
Ich schlappte durch das Büro und warf die Tür ins Schloss, dass es nur so krachte. Immerhin etwas. Draußen grollten Motorräder auf. Von Gegenüber brüllte der olle Schröder: »Anständige Menschen schlafen um diese Zeit!« Zur Antwort wurden die Gashebel unten auf der Straße extra laut aufgedreht. Ich ging zum Fenster und sah nach draußen.
»Ich ruf gleich die Polizei, ihr Vandalen!«, schrie der olle Schröder, der sich im Bademantel aus dem Fenster beugte. »Und Sie, Frau Cudd, Sie können sich auf was gefasst machen. Wir sind hier nicht auf St. Pauli!«
Ich zog die Jalousie herab, schlurfte zum überhitzten Rechner und schaltete ihn aus. Sachbücher schreiben, das wäre doch was, dachte ich. Irgendwas über Hege und Pflege von Zwiebelstauden vielleicht. Oder die Auswertung von Wellen-Algorithmen beim Flusslachsfischen. Kreatives Mäntelchen-häkeln für Meerschweinchen  – egal was: Hauptsache, es hatte nichts mit nächtlichen Heimsuchungen der finsteren Art zu tun, die meinen Kaffee klauten und heimlich meine Romane umschrieben.
Ich klemmte mir mein Notizbuch unter dem Arm, schloss sorgfältig die Studiotür hinter mir ab und schlappte in die Wohnung hinüber.
Ein jugendfreier Liebesroman zwischen Collegestudenten wäre auch ganz nett. Ich könnte eine kleine Recherchereise nach Florida machen. Palmen, Sonne, Cocktails am Strand  … glitzernde Typen. Nein, das ginge wirklich zu weit! Keine glitzernden Typen.
Morgen sollte ich mich jedenfalls dringend über Runen schlau machen, die man auf die Tür malte, um ungebetenen Besuch fernzuhalten. Ich müsste mir einige kluge Bücher zu dem Thema anschaffen. Vielleicht im Vatikan anrufen und fragen, ob sie bei mir auch mal einen Exorzisten vorbeischicken könnten. Ja, das klang nach einem guten Plan.
Ich öffnete mein Notizbuch, um mir selbst ein Memo zu schreiben, als mein Blick an den hingekritzelten Ideen für Teil 4, 5 und 6 hängen blieb. Wann hatte ich die denn niedergeschrieben? Und warum sah meine Handschrift so anders aus?
Seufz  …

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