Das Setting eines Romans (also der Ort, wo die Story spielt), steht für die meisten AutorInnen ja außer Frage: Alles, bloß nicht Dschörmäny!
In der Regel toben sich die Protagonisten irgendwo in den USA aus, selbstverständlich in den coolen Orten der USA, nicht in Lower Choopaloosett, Wisconsin (es sei denn, die schüchterne Heldin zieht nach der High School von Lower Choopaloosett, Wisconsin nach New York, kämpft sich ehrgeizig durch Job & Society und angelt sich den hotten Milliardär).
Warum spielen so viele Romane aus deutscher Feder eigentlich in den Staaten?
Ganz einfach: Die meisten Verlage bestehen auf ein internationales Setting, weil die Leser es angeblich so wollen (Kerstin Gier hat erfolgreich das Gegenteil bewiesen).
Die Indie Autoren gucken, was sich in den Charts so tummelt („Ah, unbedarfte Literaturstudentin aus Washington und ein Milliardärs-Penthouse an der Fourth Avenue!„) und nehmen sich daran ein Beispiel.
Die Leser wiederum fragen in Foren verzweifelt, ob jemand Buchtipps geben kann, die in Deutschland spielen. Als Antwort folgt meist Schweigen im Wald.
Meine ersten Schreibversuche habe anno dunnemals ich auch in den Staaten angesiedelt, weil es halt alle so machen. Leider fand ich Amerika nie so richtig toll. Nachdem ich dort etwas zu viel Zeit verbracht hatte, fand ich es noch untoller, also habe ich ganz ketzerisch angefangen, mit nichtexotischen Schauplätzen rumzuspielen.
Die USA sind zugegebenermaßen erheblich größer als Dschörmäny (von Palmenstrand bis Grizzlybär haben sie alles im Angebot), aber die Leute dort haben erstens Trump zum Präsidenten gewählt und zweitens Jar Jar Binks erfunden.
Gut, wir plagen uns aktuell mit einer GroKo herum, aber einen Jar Jar hätte es bei uns nie gegeben. Nicht einmal die Erfindung des Dschungelcamps können wir uns auf die Peinlichkeitsfahne schreiben.
Ich habe auch mal eine Zeitlang in China gelebt und dort schielt das Jungvolk, was Trends angeht, angestrengt nach Japan. Die Deutschen tun es den Chinesen gleich und schielen, was Trends angeht, halt nach Amerika.
Die Amerikaner haben niemanden, zu dem sie schielen können, also erschaffen sie Dinge wie Monsanto und den Black Friday und Marshmallows (man muss schon sehr verzweifelt sein, um Mäusespeck auf einen Stock zu spießen, über offenem Feuer zu grillen und das dann auch noch zu essen).
Eine Motorradtour über die Route 66 macht sich bei Instagram zwar richtig schick, ist aber stinklangweilig. Überall trifft man auf nostalgisch verklärte Touristen mit Road Kings und sonnenverbrannten Nasen.
New Yorker essen Sachen, die bei uns in der Gelben Tonne landen würden. Sie trinken ihren Kaffee im Gehen, schlucken anschließend Magentabletten wie Smarties und schaffen sich klitzekleine Hunde an, nur um auf einer Party sagen zu können, dass sie einen Gassigeher engagieren müssen, weil sie täglich 16 Stunden arbeiten, um die monatliche Kreditkartenabrechnung finanzieren zu können.
Amerikaner stecken besagten klitzekleinen Hund in die Mikrowelle, um das nasse Fell zu trocknen, und verklagen anschließend erfolgreich den Hersteller. Sie schlagen sich mit miserabler Krankenversorgung und Sperrholz-Eigenheimen herum, die beim ersten Stürmchen in einen Haufen Essstäbchen zerlegt werden.
Sie haben die Barbie erfunden, wir hingegen den Buchdruck. (Muss mal gesagt werden.)
Die amerikanische Geschichte beginnt 1492 mit „Das alles hier gehört jetzt uns!“, kombiniert mit ein paar dicken portugiesischen Kanonen. Die deutsche Geschichte hat lange, lange vor Arminius, dem Germanen, begonnen, der den römischen Besatzern ordentlich den Arsch versohlt hat. Arminius war obercool, Kolumbus war Europäer, also nahe dran an cool.
Die Amerikaner würde es nicht geben, wenn Düsseldorf-Mettmann nicht den Neandertaler erfunden hätte. Die eigentlichen Ur-Amerikaner, die Native Americans, haben im eigenen Land nicht viel zu sagen.
Die schönen hohen New Yorker Wolkenkratzer wären keine zwanzig Meter hoch, wenn die Europäer nicht ihr beeindruckendes Kathedralenbau-Wissen in die USA exportiert hätten.
Zwei Jahre vor den Gebrüdern Wright hat Gustav Weisskopf den ersten erfolgreichen Motorflug gewagt. Nicht einmal die Börse haben die Amis erfunden (das waren die europäischen Kaufleute im 16. Jahrhundert), dafür aber den Börsencrash. Während amerikanische Jugendliche Nervenzusammenbrüche bekommen, weil sie zum Abschlussball kein passendes Outfit finden, haben wir Sophie Scholl, Beate Uhse und Alice Schwarzer. Und die beste Band der Welt kommt auch aus Deutschland 🙂
Man hört also zwischen den Zeilen heraus, dass ich persönlich Amerika jetzt nicht sooo superduperklasse finde, sodass ich mir nun unbedingt ein amerikanisches Pseudonym zulegen und einen stinkreichen Chicagoer Mafiaboss als Helden haben möchte. (Die Mafia wurde übrigens auch nicht von den Amis erfunden). Für das Setting von Demonized hatte ich gotische Dramatik und morbide Freimaurer-Mystik im Sinn, gewürzt mit ketzerischer Vergangenheit, Inquisitionsgemauschel und heidnischen Bräuchen. So etwas findet man in Bamberg und Rothenburg eher als in Seattle oder Cleveland.
Stephen King und H.P. Lovecraft haben bei der Erfindung ihrer gruseligen Orte Castle Rock und Innsmouth ebenfalls tief in die europäisch-gotische Kiste gegriffen.
Natürlich besitzt Amerika massenhaft spannende Örtlichkeiten, aber wozu in die Ferne schweifen, wenn wir hierzulande den Multikulti-Schmelztiegel Ruhrpott samt Rockerszene haben, den Hamburger Kiez samt Hafenmilieu und Porno-Paule oder Berlin samt seiner Künstler, Punker und Sexleben-Blogger?
Amerikanische Settings funktionieren ganz hervorragend, wenn das Buch von einem Amerikaner geschrieben wurde, der sein Land und dessen Abgründe kennt. Bei deutschen AutorInnen verkommen die USA oft zu einem oberflächlichen, von TV-Serien inspirierten Bühnenbild, das wie auf eine flache Leinwand gepinselt wird.
Ausnahmen bestätigen übrigens die Regel.
Dabei besteht Dschörmäny überraschenderweise aus mehr als dem spießigen 70er-Jahre-Flair mit seinen orangefarbenen Tapeten, der Riesterrente und Angela Merkels Hosenanzügen (aber hey, immerhin haben wir eine Frau an der Landesspitze!).
Bei uns geht auch nicht gleich das Abendland unter, wenn man unverhüllte Brustwarzen im Netz zeigt. Die Deutschen sind, was Sexualität betrifft, weit weniger verklemmt als die Amis (wir hatten ja schon Oskar Kolle überlebt), aber die Amerikaner haben – das sei neidlos anerkannt – die lässigere und lebendigere Sprache. Und der Ford Mustang macht auch mehr her als der Opel Manta.
Sprache und Autos (und Harleys) und iPhones kann man importieren, und das tue ich selbstverständlich mit hemmungsloser Freude. Meinen Namen werde ich trotzdem nicht in Virginia Lou-Anne Collister ändern, nur damit ich zwischen all den anderen amerikanischen Autorennamen nicht so auffalle.
Jede Woche erscheinen hunderte neuer Romane, die in den Staaten spielen, da muss ich nicht auch noch meinen Senf dazugeben. Dann gibt es noch Thriller aus Skandinavien und dann lange Zeit nichts.
Oder doch?
Auf Anhieb fallen mir nur wenige Titel ein, die in Deutschland angesiedelt sind.
– Das Leben fällt, wohin es will von Petra Hülsmann (Bastei Lübbe)
– Gib dich hin von Kerstin Dirks (Ullstein)
– Die Lehmann-Trilogie von Sven Regener (Bastei)
– Sahnehäubchen von Anne Hertz (Knaur)
– Ein unmoralisches Sonderangebot von Kerstin Gier (Bastei)
– Deal mit Dorian von Nora Melling (Self Publishing)
– Unterleuten von Julie Zeh (Luchterhand)
– Anonym von Ursula Poznanski und Arno Strobel (rowohlt)
Eine Leserin aus den Staaten sagte mir, dass amerikanische Autoren furchtbar gerne deutsche Handlungsorte benutzen, weil sie Deutschland ziemlich cool finden. Nicht wegen Neuschwanenstein und Oktoberfest, sondern weil sie der Meinung sind, die Deutschen (ebenso wie die Franzosen und Italiener) besäßen weitaus mehr Kultur als ihre Landsleute. Vermutlich waren sie noch nie auf einem Die Kassierer-Konzert …
Was ich damit sagen will: Traut euch mal was, liebe AutorInnen! Überrascht eure Leser mit unbegrenzten Möglichkeiten und schreiberischer Kreativität. Make Dschörmäny spannend again. Oder zumindest die Nachbarländer. Gibt es eigentlich niederländische Romance?