Die Sache mit den Rezensionen, die nicht geschrieben werden

Für uns Autoren sind Rezensionen ja immer so ein Thema.
Haste keine, dann kauft fürderhin keine Sau dein Buch und es dümpelt unsichtbar auf Platz hassenichgesehen herum. Haste viele, dann unterstellen dir Kollegen, du hättest deine Rezis* in einer asiatischen Clickfarm gekauft. Haste nur zwölf Rezensionen und zwei davon sind niederschmetternd, dann wirst du die nächsten zwei Wochen mit einer Papiertüte über dem Kopf im Wandschrank verbringen.

Es gibt miese Rezensionen, die einzig darauf abzielen, den Autor in Grund und Boden zu schmettern. Vielleicht hatte der Verfasser einen schlechten Tag im Büro (die Chefin hat dich ins Kellerarchiv zum Aktenabstauben versetzt, deine Kaffeetasse wurde geklaut und in der Kantine gab’s heute Leber mit Rosenkohl). Oder der Rezensent ist der Meinung, dass blutrünstige Splatterromane grundsätzlich verboten gehören und will die Welt unbedingt an seiner Meinung teilhaben lassen. Also kauft er sich einen Roman von Jack Ketchum oder Hubert Selby, liest die ersten zehn Seiten, kotzt sich anschließend öffentlich bei Amazon aus und lächelt dabei grimmig.

Foto: Andrew Neel/unsplash

Lustigerweise – und hier verrate ich ein Geheimnis, das keines ist – wissen potentielle Leser, was sie von solchen Rezis zu halten haben: Nix.
Leser suchen in Rezensionen ausschließlich nach individuellen Entscheidungshilfen. Gibt es Sex mit Dinosauriern im Buch? Ein Happy End oder einen Cliffhanger? Niedliche Katzenbabys? Ordentlich Blut und Eingeweide?
Und es ist keine Seltenheit, dass ein Buch gekauft wird, gerade weil es massenhaft üble Slasherszenen enthält. »American Psycho« von Bret Easton Ellis (der angeblich brutalste Roman der Literaturgeschichte, der nach Klage des Verlages 2001 von der Indexliste für jugendgefährdende Schriften genommen wurde) mit fast 20% Ein-Sterne-Meinungen ist ein bekanntes Beispiel. Viele haben das Buch nur gekauft, weil sie wissen wollten, ob an der Kritik etwas dran ist.
Was der eine bemängelt, findet der andere nun mal lesenswert. Andere wollen lieber selbst herausfinden, ob der Negativ-Rezensent mit seiner vernichtenden Meinung Recht hat oder einfach nur zu blöd war, die Botschaft des Buches zu verstehen (bei „American Psycho“ ist die Botschaft simpel: Wer die Musik von Genesis** mag, muss ein koksender Psychopath sein).

Was ich damit sagen will: Jede (!) Rezension ist wichtig. Auch die von den giftspritzenden Hatern. Wer nämlich Hater hat, wurde offenkundig als Bedrohung von wasauchimmer wahrgenommen. Bedrohungen fürchtet der Wutbürger, darum bekämpft er sie dort, wo er sich sicher fühlt: in den anonymen Weiten des Internet. Wahlweise bei Amazon.
Wenn du also unfaire negative Bewertungen zu deinem Roman bekommst, dann klopfe dir auf die Schulter, weil du jemanden dazu gebracht hast, sich mit dir zu beschäftigen. Vielleicht träumt er nachts von dir, mit Schaum vor dem Mund, weil du einen Roman veröffentlicht hast und dieser auch noch gekauft wird. Ätsch. Also lass die Hater getrost haten.

Foto: 2photo-pots/unsplash

„Richtige“ Rezensionen sind Kundenmeinungen. Jemand liest ein Buch und schildert seinen Eindruck. Er tut das freiwillig, weil das Buch ihm in irgendeiner Form wichtig ist. Ob er seinen Eindruck in zwei orthografisch fragwürdigen Sätzen abhandelt und von seinem Hund korrekturlesen lässt oder einen fulminant formulierten Sechs-Seiten-Artikel schreibt, ist piepegal. Mir jedenfalls.

Leider ist es so, dass viele Leser sich nicht mehr trauen, ihre Meinung zu einem Roman öffentlich kundzutun.
Ich bekomme oft persönliche Feedbacks zu meinen Büchern, in denen steht, dass man lieber keine öffentliche Rezension abgeben möchte.
Weil man nicht weiß, wie das geht.
Weil man Angst hat, niedergemacht zu werden.
Weil man nicht für seine Rechtschreibung verurteilt werden möchte.
Weil man glaubt, man müsse mindestens Bloggerqualität abliefern, besser noch einen eloquenten Feuilleton-Beitrag verfassen, der locker auch in der FAZ abgedruckt werden könnte.
Weil man fürchten muss, eine blutrünstige Fanbase könnte sich zur Hetzjagd auf den Verfasser zusammenrotten, wenn man den Roman bestenfalls mittelmäßig fand.

Richtig ärgerlich wird es, wenn sich ausgerechnet Autoren in den Social Media über Rezensenten oder diverse orthografische Patzer lustig machen und die Hemmschwelle, eine Lesermeinung zu schreiben, dadurch noch erhöhen (Letztens noch gesehen: „Haha, da schreibt schon wieder einer Rezession! Und Hauptprotagonist! Unfähige Nulpe, sollte erst mal den Duden lesen statt meine Bücher.“)
Mir ist bewusst, dass manche zum Sheldon Cooper werden, wenn sie einen Rächtschraipfeler finden. Mir ist auch bewusst, dass manche Menschen die Kommasetzung, nur, teilweise, verstanden, haben oder am Wort Portmonnee/Portemonnaie/Poatmonäääää verzweifeln. Sie dürfen das. Sie dürfen trotzdem eine Meinung zu einem Buch haben.

Foto: Rita Morais/unsplash

Sehr fies wird es, wenn ein Leser eine sachliche (!) Negativrezension abgibt und in Kommentaren von den Fans des Autors angegriffen wird. Da kommen dann Reaktionen wie »Ich verstehe nicht, warum solche Leute ihre Meinung abgeben dürfen! Das Buch ist toll und jeder, der das anders sieht, doof wie Toastbrot.«
Oder der Autor höchstselbst (meist unter kreativem Pseudonym) kotzt sich im Kommentar aus, wie unverschämt es doch sei, das Buch/die Preisgestaltung/die Protagonisten nicht zu mögen, wo man doch Herzblut in die Geschichte gesteckt habe und überhaupt dürfe der Autor veröffentlichen, was und wie er will. „Das nennt sich Freiheit. Basta! Geh sterben, blöder Leser. Und lösch die scheiß Rezi!“
Entdecke ich eine solche Reaktion eines getroffenen Hundes, mag ich sein Buch nicht lesen und mein Geld bekommt er natürlich auch nicht.
Kritik tut immer weh, keine Frage. Aber es ist weitaus professioneller, in solchen Fällen in den Keller zu gehen und ein paar Pfeile auf eine Pappfigur zu werfen, die ein Schild mit der Aufschrift BLÖDER LESER um den Hals trägt. Dann setzt man sein Profilächeln auf, geht wieder nach oben und schreibt am nächsten Roman weiter.
Autoren und Leser, die Menschen angreifen, weil ihnen deren persönliche Meinung nicht in den Kram passt, haben den Sinn von Texten jeglicher Art nicht verstanden: GEDANKENFREIHEIT! Die gilt für alle. Auch für Leute, die man nicht mag. Isso.
Faust in der Tasche ballen. Weitermachen. Ruhig schlafen.

Foto: Ben White/unsplash

Wir Autoren dürfen Bücher über Dinosauriersex schreiben, über serienmordende Genesis-Liebhaber oder über junge, hotte Milliardäre, die immer ein Paar Handschellen in der Hosentasche haben (falls ihnen eine geeignete Praktikantin über den Weg läuft).
Die Leser dürfen das öffentlich toll finden, dürfen darüber lachen oder entgeistert den Kopf schütteln. Sie dürfen sich darüber aufregen, dass jemand einen nackigen Dino aufs Cover gepappt hat und damit in die Top 5 gekommen ist. Sie dürfen auch meckern, wenn ein Autor aus einem 250-Seiten-Buch eine 10-bändige Serie macht. Sie dürfen lamentieren, dass sie die weibliche Protagonistin nicht mögen, weil die es mit zwei Männern gleichzeitig treibt oder keinen Spinat isst, wegen der Stückchen, die zwischen den Zähnen hängenbleiben (»Ich versuche, meinen Kindern gesundes Blattgemüse schmackhaft zu machen, und dann so was! Ein Skandal!«)
Sie dürfen eine überhebliche Frustrezension verfassen, weil der Chef sie heute im Büro angeraunzt hat und weil sie Genesis sowieso schon immer doof fanden.
Die Trolle, Hetzer, Neider und Hater verstummen am schnellsten, wenn sie links liegen gelassen werden. Man darf sie ein wenig bemitleiden, weil sie vielleicht akutes Rezensions-Tourette haben oder ein langweiliges Shice Leben führen, einen Kombi fahren statt einer Corvette und überhaupt alles blöd finden, was anderen gefällt.

Interessierte, potentielle Käufer werden die Rezensionen nach ihrem Gutdünken filtern und sich ihren Teil denken. Die sind nämlich nicht so dumm, arglos jede fremde Meinung zu schlucken. Da müssen wir Autoren oder Fans nicht eingreifen.
Selbst eine kurze Botschaft wie »Ich fand das Buch super. Keine Ahnung, wie ich das besser formulieren soll« ist ein Fingerzeig. Jemand hat sich die Mühe gemacht, sich irgendwo einzuloggen und die erstbesten Worte geschrieben, die ihm eingefallen sind. Vielleicht war es seine erste Rezension, vielleicht sitzt er gerade im Büro, tippt hastig seinen Text auf dem Handy, während der Chef durch die Gänge pirscht, vielleicht kann er auch nicht auf den Punkt bringen, was genau er an dem Buch so toll fand.
Am Ende war er jedenfalls glücklich mit der Lektüre und das möchte er gerne mal loswerden.
Okay, vielleicht ist er doch ein Asiate in einer Clickfarm und bekommt pro Rezension 0,012 Dollar. Übersetzt von Google Translator. »Auspack und Freu. Diese vielseitig verwendbare Produkt hat akzeptable Feierung zur Gemutlichkeit erzeugt.«
Potentielle Käufer merken es, ob eine Rezension Wischiwaschi ist oder von einem anderen echten Leser verfasst wurde, der nur nicht mit Worten so gut umgehen kann. Hat ein Buch hundert gekaufte Wischiwaschis, dauert es nicht lange und es hagelt Ein-Sterne-Feedbacks. Leser lassen sich nicht gerne verarschen.

Foto: Artem Kovalev/unsplash

Gute Bücher überleben Trolle, Hater und natürlich auch Leser, die das Buch aus Gründen nicht so toll fanden. Letztere helfen dem Autor sogar, das nächste Buch besser zu machen. Wenn zehn Leser sagen: »Dass der Bösewicht plötzlich vom Blitz erschlagen wurde, gerade als er die Heldin töten wollte, war jetzt irgendwie unglaubhaft«, dann hat der Autor etwas, worüber er nachgrübeln kann.
(Im nächsten Buch wird der Bösewicht dann von einer umstürzenden Straßenlaterne dahingerafft. Und ein Leser wird schreiben: »Wieso steht eine Straßenlaterne mitten im Wald? Und warum kippt sie ausgerechnet jetzt um???« Vielleicht schreibt der zutiefst getroffene Autor dann in einem Kommentar: »Das nennt sich künstlerische Freiheit, du Kretin!« Und die erboste Fanbase echauffiert sich: »Typen wie dir sollte man die Tastatur wegnehmen! Die umstürzende Straßenlaterne ist eine Metapher für die Einsamkeit der ukrainischen Landbevölkerung und wer das nicht kapiert hat, soll Genesis hören, bis ihm das Blut aus den Ohren läuft!«)

Unsere Bücherlandschaft würde ziemlich traurig aussehen, wenn nur noch begeisterte, rechtschreibaffine »Fünf-Sterne-sind-noch-zu-wenig«-Claqueure und Superduper-Profirezensenten ungestraft ihre profunde Meinung kund tun dürfen.
Für Autoren ist negative Kritik natürlich schmerzhaft und sie reißt einen erst mal rein. Aber wenn mehrere Leser das Gleiche bemängeln, dann hat man einen wichtigen Hinweis bekommen, der das nächste Buch hoffentlich besser macht.
Wenn es um Geschmacksfragen geht („Ich mag keine Bücher, die im Präsens geschrieben sind, darum nur zwei Sterne.“) – Tja, da kann man nix machen, außer in den Keller zu gehen und ein paar Pfeile zu werfen.
Kleiner Trost: Schau dir an, wie die internationalen Bestseller und die ganz großen Literaten bewertet wurden. Danach geht es dir wieder besser. Die werden nämlich richtig zerfleddert und bis aufs Blut analysiert. Meine persönlichen Lieblingsromane haben im Schnitt oft gerade mal drei Sterne und ich denke mir gerne im Stillen: „Habt ihr alle keine Ahnung? Dieses Buch ist ein fucking Meisterwerk!“ Dann schreibe ich eine Rezension, warum ich das Buch für ein fucking Meisterwerk halte („Ich fand das Buch super, weil auf jeder Seite etwas anderes steht. Mehr fällt mir nicht ein. Cat.“)

Foto: Annie Spratt/unsplash

Es tut mir in der Seele weh, wenn Leser sich nicht trauen, laut zu sagen, ob und warum ihnen ein Buch gefallen hat, weil sie befürchten müssen, dass ihnen die Finger abgehackt werden. Es sind manchmal Leute mit Lese-Rechtschreibschwäche darunter, meist aber sind es ganz normale Leser, die glauben, sie müssten erst ein Literaturstudium absolvieren und einen Korrekturleser engagieren, bevor sie „offiziell“ was zu einem Buch sagen dürfen.

Darum mein Appell: Egal, ob du Autor, Blogger oder Leser bist – entmutige andere Leser nicht, ihre Meinung zu schreiben! Reg dich nicht über Meinungen auf, die dir nicht in den Kram passen! Greife um Himmels Willen niemanden an, der dein (Lieblings-)Buch nicht toll fand! Er will keinen Krieg führen, er ist schlicht nicht deiner Meinung.
Diskutieren geht in Ordnung, Nachfragen zeigt Größe, aber Anfeinden ist würdelos. Wir haben schon genug Gemetzel in der Welt, da sollte es zumindest im Bücheruniversum friedlich zugehen. Niemand von uns wünscht sich eine Diktatur, in der man für seine persönliche Meinung angefeindet oder gar an den Pranger gestellt wird.

Liebe Leser, lasst euch nicht einschüchtern oder gar entmutigen!
Schreibt Rezensionen!
Wir Autoren brauchen Rezensionen, denn sonst sieht niemand, dass wir ein Buch geschrieben haben, welches sogar von wildfremden Menschen gelesen wurde.
Teilt anderen mit, was ihr gut oder schlecht fandet. Bleibt dabei sachlich.
Bücher werden nicht geschrieben, um damit (oder dagegen) geifernd in den Krieg zu ziehen. Sie sollen unterhalten, zum Nachdenken anregen, Emotionen hervorrufen. Wenn eure Emotion darin besteht, das Buch frustriert in die Ecke zu pfeffern, ist das auch schon was.
Ich behaupte, ein erwachsener Autor wird es überleben, wenn ihr schreibt: „Ich musste das Buch leider in die Ecke pfeffern, weil es mich nicht glücklich gemacht hat.“ Und kluge Leser sind in der Lage, andere Geschmäcker (und fehlende Kommata) generös zu akzeptieren.

 

*»Rezi« hat übrigens gute Chancen, auf meiner »Zehn Abkürzungen, die ich hasse«-Liste zu landen. Auf Platz eins: klkrkl (Küsschen links, Küsschen rechts, Küsschen links; digitale Begrüßung unter Leuten, die ich im realen Leben mit der Schulter anremple).

** Ich finde „That’s All“ von Genesis ziemlich cool. Nein, ich kokse nicht.

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