Warnung 1: Dieser Artikel enthält Worte, die möglicherweise sogar Sinn ergeben!
Warnung 2: Und Links! Links zu Amazon-Büchern anderer Autoren enthält er auch (Produktverlinkung, für die mich keine Sau bezahlt)
Eine nicht unwichtige Frage, die uns Autoren umtreibt, ist ja die Folgende:
Soll ich eine Triggerwarnung zu meinem Roman abgeben?
Und wenn ja, wovor soll ich warnen?
Diesen Screenshot einer Rezension entdeckte ich in einer Autorengruppe auf FB.
Vermutlich ließ er nicht nur mich ratlos zurück.
Inwieweit müssen wir Autoren eigentlich die geschätzten Leser vor dem Inhalt unseres Buches warnen?
– Achtung, dieser Psychothriller enthält extrem unangemessenes Verhalten gegenüber anderen Menschen (Mord, Totschlag und andere Verbrechen gemäß StGB)
oder
– Vorsicht! Dieser erotische Liebesroman thematisiert u.a. den glitschigen Austausch von Körperflüssigkeiten!
oder
– Warnung an alle, die kein Blut sehen lesen können: In diesem Vampirroman werden viele, viele Schlagadern angezapft!
Gut, das sind jetzt überhöhte Beispiele. Das Thema jedoch ist gar nicht so unernst. Es stellt sich die Frage, ob ein Autor in die Rolle eines warnenden Zeigefingers schlüpfen sollte – oder ob er es überhaupt kann. Manche Leser fühlen sich dadurch genervt oder bevormundet, andere hätten gern vorweg einen Hinweis, dass es im Buch ungemütlich wird.
Was ist eigentlich ein Trigger?
Ein Trigger ist ein Auslöser, ein Schlüsselreiz, der einen Flashback auslösen kann, sodass die betroffene Person ein schlimmes Ereignis noch einmal durchleben muss, und zwar so stark, dass sie das Wiedererleben als real empfindet. Trigger können Angstattacken auslösen.
Als schlimmes Ereignis würde ich jene Traumata bezeichnen, die tiefe, bleibende Narben in der Seele hinterlassen, also eine Vergewaltigung, Psychoterror, Suiziderfahrung, Misshandlung oder ein furchtbares Unglück.
Trigger können ein Geruch sein (z.B. Orangenpolitur), ein Gegenstand (der herumliegende Kinderschuh) oder ein Geräusch (ein bestimmtes Lied, der Lärm der Autos über der Unterführung). Manchmal wird man auch durch einen harmlosen Satz getriggert („Hey, kenne ich dich nicht von irgend woher?“), eine Situation (Party), eine Berührung, dem Anblick eines roten Lieferwagens ….
Auch Szenen in Buch oder Film können Flashbacks auslösen. Selbst die harmlose Schilderung einer undichten Geschirrspülmaschine kann bei jemanden schlechte Erinnerungen hervorrufen.
In der Therapie werden Trigger gezielt eingesetzt, da sich solche auslösenden Situationen schlicht nicht vermeiden lassen, nicht einmal dann, wenn sich die betroffene Person für den Rest ihres Lebens in der Wohnung verbarrikadiert.
Ist Fremdgehen ein Trigger?
Echt jetzt!
Wer Fremdgehen auf die gleiche (Trigger-)Stufe setzt wie z.B. eine Vergewaltigung, banalisiert damit eine wirklich schreckliche Tat. Im ersten Fall wurde jemand betrogen. Kommt vor. Ist scheiße, aber nichts, dass dich kaputtmacht. Tritt den Betrüger dahin, wo keine Sonne scheint, und das Thema ist erledigt.
Wer sich in einem Roman von einer Fremdgeh-Szene aus der Bahn werfen lässt, wird auch von einer pampigen Bäckereifachverkäuferin in eine Sinnkrise gestürzt.
Im zweiten Fall wird eine Person gegen ihren Willen entmenschlicht (ein passenderes Ausdruck fällt mir gerade nicht ein). Unter einer solchen Tat leidet das Opfer ein Leben lang. Sie verändert die eigene Persönlichkeit, den gesamten Lebensweg und hat auch gravierende Auswirkungen auf das persönliche Umfeld. Ich rede aus eigener Erfahrung.
Als Buchtipp hierzu empfehle ich Sieben Stunden im April von Susanne Preusker.
Man muss also unterscheiden zwischen Trigger und Oh, so was mag ich aber gar nicht lesen.
Manche Leser hätten ja gern eine Info, ob das Buch ein Happy End beinhaltet, weil der Alltag auch so schon shice genug ist. Bücher ohne Happy End kommen ihnen nicht ins Haus.
Warnung für Hamoniebedürftige: Dieses Buch endet ziemlich unharmonisch für die Heldin.
Hier geht es aber nicht mehr ums Triggern, ab hier bewegen wir uns im trivialen Minenfeld enttäuschter Erwartungen. Ein ganzes halbes Jahr von Jojo Mojes wurde trotzdem – oder genau deswegen – ein Bestseller. Die meisten Leser wussten genau, dass sie bei einem Liebesdrama nicht nur Zuckerstreusel bekommen.
Das Buch Was geschah mit Femke Star? von Kerstin Ruhkieck habe ich total unbedarft aufgeschlagen und gelesen. Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartet und wurde vom Inhalt regelrecht niedergewalzt. Das Buch enthielt keinen Trigger (aber ein erklärendes Nachwort), es ist absolut kein Wohlfühlbuch und dennoch bin ich froh, es gelesen zu haben. Weil es mich aufgewühlt, sehr wütend gemacht und noch Tage später zum Nachdenken gebracht hat. Es hat mich nicht geschont, sondern eiskalt an der Gurgel gepackt. In gewisser Weise bin ich froh darüber, dass die Autorin mich (und alle anderen Leser) nicht in Watte gepampert hat. Denn die ganze Zeit wusste ich: Es ist nicht real, auch wenn es sich so anfühlt. Es hat mir aber erlaubt, mich selbst zu hinterfragen.
Dass es sich nicht um einen Happy End-Roman handelt, erkennt der versierte Leser übrigens sofort am Cover und der Tatsache, dass es nicht unter romantische Liebeskomödie einsortiert ist. Braucht es da noch ein warnendes Vorwort?
Ein Autor, der Triggerwarnungen verwendet, setzt ja irgendwie voraus, dass sein Leser nicht genug Stärke besitzt, mit dem Inhalt des Buches umzugehen. Ich bin hin- und hergerissen, ob ich das gut oder schlecht finden soll. Wem der Inhalt eines Buches überhaupt nicht zusagt, der wird es zuklappen, im Garten verbrennen und drumherum tanzen (es sei denn, es handelt sich um ein E-Book. Da hilft leider nur, zornig auf den Buch-löschen-Button zu hämmern).
Wir Autoren müssen wohl nicht ständig explizit darauf hinweisen, dass unser Werk nicht ausschließlich angenehme Gefühle auslösen wird. Bücher sollen den Leser aus seiner gewohnten Komfortzone herausholen und ihn idealerweise die gesamte Palette der Gefühlswelt durchleben lassen: Unverständnis, Hass, Verwirrtheit, Schock (wahlweise Zuckerschock), Zuneigung, Freude, Trauer und am Ende möglicherweise zutiefst empfundene Liebe. Und das alles in der sicheren Umgebung von Fiktion. In Büchern kann dir nichts passieren.
Wer das aber nicht mag oder sich vor speziellen Inhalten fürchtet, wird entweder gar nicht zu Bücher aus dem Dark Romance-, Slasher- oder Thrillergenre greifen – oder jetzt erst recht, vielleicht, um sich selbst zu testen. Wo liegen meine persönlichen Grenzen? Inwieweit komme ich mit unvorgesehenen Schilderungen zurecht? Wie würde ich in bestimmten Situationen handeln?
Manche Leser liefern sich bereitwillig der perfiden Fantasie seines Autors aus und lassen sich voll kribbliger Freude auf ein ungewisses Abenteuer ein. Hier dürfen wir Autoren auch mal Vertrauen in unsere Leser haben: Die wissen nämlich sehr genau, dass sie etwas Fiktives in den Händen halten und können es sehr gut vom realen Leben abgrenzen (definitiv besser als wir Schreiber).
Ich habe die fiesen Romane von Tess Gerritsen, die minutiös Brutalität und Vergewaltigung schilderten (und kein einziges warnendes Vorwort enthalten), mit einer gewissen kühlen Distanz gelesen, obwohl ich vor Jahren selbst das Opfer einer Gewalttat geworden bin – aber Die Hunde des schwarzen Todes von Richard Adams habe ich abgebrochen. Dabei wird in dem Roman kein Mensch unfreundlich behandelt (glaube ich. Ich hab’s ja nicht beendet). Bis heute mache ich einen großen Bogen um dieses Buch. Ich hätte es aber vermutlich trotz einer entsprechenden Warnung aufgeschlagen, da ich so etwas grundsätzlich ignoriere. Die klingen immer so nach: Meedche, lech datt Buch mal flugs beiseite, dat is nix für dein zartes Gemüt.
Ob etwas für mich geeignet ist oder nicht, weiß ich erst, wenn ich es ausprobiert habe. Und nur ich.
Aus der Erfahrung mit Silent weiß ich zudem, dass manche Leser den mahnenden Klappentext zwar lesen, ihn aber nicht für voll nehmen. Zur Strafe bekommt die Frautorin eine miese Rezension.
„Im Klappentext stand was von Gewalt und unmoralischen Handlungen. Ich habe es trotzdem gelesen. Zu meiner Enttäuschung waren ja wirklich Gewalt und unmoralische Handlungen enthalten. Pfui Teufel! Dafür nur einen Stern.“
Bighead – Ein brutaler, obszöner Thriller von Edward Lee trägt folgende Anmerkung: Der Verlag warnt ausdrücklich: Edward Lee ist der führende Autor des Extreme Horror. Seine Werke enthalten überzogene Darstellungen von sexueller Gewalt, und darunter steht das Zitat: Edward Lee – das ist literarische Körperverletzung! (Richard Laymon).
Natürlich finden sich trotzdem zahlreiche Ein-Sterne-Rezensionen, die sich mächtig darüber aufregen, dass sie einen brutalen, obszönen Thriller bekommen haben. Wer meckern will, meckert sowieso, egal, wie viele Achtung! Ab hier wird’s ungemütlich!-Warnungen du im Vorfeld auflistest.
Als Autor bricht man sich dennoch keinen Zacken aus der Krone, wenn man im Klappentext darauf hinweist, das der Roman seelisch tiefgreifende Inhalte wie z.B. Vergewaltigung, Missbrauch oder Psychofolter enthält. Es hilft dem Leser, eine Kaufentscheidung zu treffen. Das ist alles.
Das halte ich insbesondere dann für angebracht, wenn dein Buch Zuckerküsse unterm Kirschbaum heißt und ein rosa Herzchen-Cover hat, die Geschichte aber von einem diabeteskranken Landschaftsgärtner handelt, der hemmungslos mit dem Astloch eines Steinobstgehölzes kopuliert (Haha, jetzt möchte zu gern in deinen Kopf gucken, lieber Leser!)
Maurice Stendhal, der Fuchs, hat die Sache mit dem Trigger auf seine eigene Art gelöst: „Ich habe es gewagt, den Personen ihre charakterlichen Härten zu lassen, erkläre aber hiermit, dass ich viele ihrer Handlungen moralisch auf das Schärfste verurteile.“
Was ich persönlich aus der Trigger-Debatte mitnehme? Ich weise halt freundlich darauf hin, wenn ich die Pfade der moralisch anerkannten Norm verlasse, auch wenn es bei Dark Romance und Dark Erotic eigentlich totaler Tinnef ist.
Wie seht ihr das: Beachtet ihr Inhaltswarnungen oder findet ihr sie überflüssig?