Triggerwarnungen in einem Roman sollen eigentlich Menschen schützen, die von Gewalt oder bestimmten Krankheiten betroffen sind.
Die Idee dahinter: Belastende Bilder und Inhalte können im schlimmsten Fall psychische Probleme auslösen.
Das Problem: Der Begriff »Trigger« wird oft falsch und gern auch missbräuchlich verwendet (»Deine neue Frisur triggert mich total.«)
Mitunter artet die Sache extrem aus; es geht nicht mehr mehr nur um mögliche Retraumatisierungen, sondern per se um alle nicht so angenehmen Themen, die einem im Leben begegnen können. So beschweren sich Amazon-Rezensenten über das Thema »Scheidung« in einem Roman (»Das Buch braucht dringend eine Triggerwarnung, weil meine eigene Scheidung echt nicht lustig war«)
oder über eine fette Spinne, dir durch die Szene krabbelt („Ich hasse Spinnen! Keine Triggerwarnung – darum nur einen Stern.“)
Ja, Sabine, niemand von uns möchte sich mit dem Ex vor Gericht um das Sorgerecht streiten oder morgens nach dem Aufwachen von einer haarigen Spinne angegrinst werden. Das sind die gemeinen Seiten des Lebens, aber sie sind noch lange keine Trigger.
Also, was ist denn nun ein Trigger?
Trigger entstehen durch traumatische Erlebnisse. Solche Traumata zeichnen sich dadurch aus, dass wir keine Kontrolle darüber haben, was in einer bedrohlichen Situation mit uns passiert. Innerhalb von Sekundenbruchteilen entscheidet unser Unterbewusstsein, wie wir auf die Gefahr reagieren: kämpfen, flüchten, sich tot stellen oder unterwerfen. Wir können in diesem Augenblick keine bewusste Entscheidung treffen. Auch John Wick kann in einer solchen Situation in Schockstarre verfallen.
Unser Gehirn ist in dieser Situation komplett überfordert und speichert das Erlebte daher nur lückenhaft ab. In ganz extremen Fällen fehlt die komplette Erinnerung an das traumatische Erlebnis. Doch manche Reize, die das Erlebte begleitet haben – z.B. das Blumenmuster eines Kleidungsstücks, das Aftershave des Täters, eine bestimmte Formulierung wie »Stell dich nicht so an!« – werden unbewusst abgespeichert.
Diese Reize können später als Trigger wirken.
Nicht jeder, der eine traumatische Situation durchlebt hat, ist danach traumatisiert. Manche Menschen haben das Geschehene nach einigen Monaten verarbeitet, andere verharren permanent in einem erhöhten körperlichen Stressniveau, woraus sich eine Traumafolgestörung, z.B. eine Posttraumatische Belastungsstörung oder eine Angststörung, entwickeln kann.
Die Betroffenen durchleben die schlimme Situation wieder und wieder wie in einer Endlosscheife. Das Geschehene wird dadurch immer fester im Gehirn verankert, sodass es bald unmöglich ist, aus eigener Kraft zu entkommen, selbst wenn der Verstand genau weiß, dass er in einer Falle steckt.
Es lässt sich bei keinem Menschen vorhersagen, wie gut er oder sie eine traumatische Situation verarbeitet. John Wick kann anschließend an einer schweren Depression zugrunde gehen, während Helene Fischer das Erlebte möglicherweise ohne langfristige Folgen hinter sich lässt (und einen erfolgreichen Schlager daraus macht.)
Traumatisierte Menschen erleben manchmal sogenannte Flashbacks, bei denen das Erlebnis plötzlich, ohne jede Vorwarnung, wieder im Kopf auftaucht. Wann das passiert, können Traumatisierte nicht kontrollieren.
Bei einem Flashback fühlt es sich an, als würde die Person genau jetzt wieder in der traumatischen Situation sein. Die Szene wird noch einmal im Kopf abgespielt – und auch der Körper zeigt die gleichen Reaktionen wie damals: Herzrasen, heftiges Schwitzen, Schockstarre oder unkontrollierte Aggressivität. Der Verstand ist unfähig, dazwischenzugrätschen und zu rufen: „Hey, das ist bloß Einbildung!“
Diese Flashbacks werden von Schlüsselreizen, den Triggern, ausgelöst, also von jenen Dingen, die wir während der erlebten bedrohlichen Situation unterbewusst im Gedächtnis gespeichert haben. Da das nun mal unterbewusst geschehen ist, können Betroffene, die einen Flashback durchleben, sich nicht erklären, wie das jetzt geschehen konnte. Es scheint, als würde ihr Körper ohne ersichtlichen Grund verrückt spielen. Zudem kündigen sich solche Flashbacks nicht an, sondern stürzen unvorgesehen auf einen ein.
Niemand kann vorhersagen, was im Unterbewusstsein als Trigger abgespeichert wird. Potenziell kann absolut alles ein Trigger sein, was irgendwie mit der schlimmen Situation zusammenhängt, sei es eine flackernde Glühbirne, eine nächtliche Ampelkreuzung, der Geruch von geschälten Orangen …
Der Psychologe Thomas Weber sagt: »Es ist eine Illusion, dass wir andere Menschen vor Retraumatisierung schützen könnten – im Internet und auch im echten Leben.« Niemand kann wissen, was eine fremde Person triggert – nicht einmal die betroffene Person selbst. Jeder und jede von uns kann jederzeit und plötzlich mit unverarbeiteten Ängsten konfrontiert werden, die tief in unserem Unterbewusstsein vergraben sind. Davor gibt es schlicht keinen Schutz. Traumatisierte Menschen haben die Kontrolle über einen bestimmten Bereich ihres Verstandes verloren. Es hilft ihnen daher nicht, wenn jemand anders nun die Kontrolle übernimmt und ihnen eine random Triggerwarnung um die Ohren haut.
In verschiedenen Studien zu dem Thema Triggerwarnung haben Leser mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung angegeben, dass so eine Triggerwarnung im Roman bei ihnen pauschal Stress auslöste. Diejenigen, die den Roman mit dem belastenden Inhalt dennoch gelesen haben, zeigten allerdings keine Retraumatisierung.
Dies deutet darauf hin, dass allein der Begriff »Triggerwarnung« eine negative Erwartungshaltung bei traumatisierten Menschen auslöst.
Ob man mit „Achtung: Triggerwarnung!“ also etwas Gutes tut, ist zu bezweifeln.
Man hilft den Betroffenen am besten, indem man sie darin unterstützt, selbst wieder die Kontrolle zu übernehmen. Dazu reicht eine einfache Content Note (Inhaltshinweis) zu Beginn des Romans. In diesem Hinweis sollte konkret benannt werden, was den Leser/die Leserin erwartet. Oft verraten ja auch Titel oder Genre, womit man es inhaltlich zu tun bekommt. Wer nichts über menschliche Abgründe lesen will, kauft besser keine Dark Romance und keinen Psycho-Thriller
Eine Warnung vor ekligen Spinnen oder einem blutigen Schnitt im Finger bei der Küchenarbeit ist allerdings ebenso unsinnig wie eine Warnung vor dem Thema Scheidung. Denn so etwas verwischt die Grenze zwischen dem normalen Leben mit all seinen Höhen und Tiefen und einem echten Trauma. Der unbedachte Gebrauch von Warnungen verharmlost die wirklich traumatischen Erlebnisse. Das Gleiche gilt für »werbende Triggerwarnungen«, die auf den Schockeffekt setzt: »WARNUNG! Dieser Roman ist unglaublich schlimm und nicht für Warmduscher geeignet! Also kauf mich gefälligst!«
In meinen dunkleren Romanen findest du vorweg eine Content Note zum Inhalt und ggf am Ende des Buches noch Hinweise zu Hilfsangeboten für Betroffene. Ich werde dich nicht vor dir selbst beschützen oder gar fremd-therapieren. Schließlich weiß ich nicht, was du erlebt (oder überlebt) hast, geschweige denn, ob eine bestimmte Formulierung, die Beschreibung eines Geruchs oder das Hawaiihemd meines Protagonisten ein negativer Schlüsselreiz für dich sein könnte. Falls ja, liegt es in deiner Verantwortung, mit diesem Reiz, diesem Trigger umgehen zu können. Oder es zu lernen. Denn so etwas kann dir auch jederzeit im Alltag begegnen.
Ich gehe davon aus, dass du deine eigenen Entscheidungen treffen und verantwortungsvoll an die Lektüre herangehen kannst.