Läuferin

Jo, die Protagonistin von Krieg der Könige, ist Langstreckenläuferin und wird deswegen als Kurierin im Quartier, dem historischen  Hafenviertel von Freihaven, eingesetzt. Jo läuft jede Nacht Distanzen weit über 20 Kilometer, mitunter bis zu 50 Kilometer.

Ein paar Erstleser sind über diese Stellen gestolpert – “50 Kilometer, das ist doch unrealistisch!”. Ich habe die Anregungen aufgenommen und im Roman entsprechend erklärt.

Den Blog hier nutze ich mal, um ein  bisschen mehr über den Realismus solcher Distanzen zu erzählen. Das, was Jo macht, ist nämlich nicht abgedreht, erfunden oder vollkommener Blödsinn. Es nennt sich Ultramarathon.

The 156-mile Marathon des Sables (Marathon of the Sands) in southern Morocco. Photograph: Pierre Verdy/AFP/Getty Images
The 156-mile Marathon des Sables (Marathon of the Sands) in southern Morocco. Photograph: Pierre Verdy/AFP/Getty Images

Grob gesagt ist Ultramarathon alles, was über die klassische Marathonstrecke von 42,195km hinausgeht. Das können Distanzen von 50 oder 260 Kilometern sein. Nach oben hin gibt es, wie überall, keine Grenzen. Der Marathon des Sables ist ein bekannter Ultralauf, aber  darüber hinaus gibt es es noch eine Menge andere Veranstaltungen -Straßenläufe, Trailläufe, Nachtläufe, Etappenrennen. Gemeinsam ist allen Ultraläuferin, dass sie weniger der Wettkampfgedanke antreibt als der Wunsch, die persönliche Komfortgrenze immer weiter hinauszuschieben, zu schauen, wie weit man kommt.Die Ultralaufgemeinde ist recht klein, die Leute kennen sich und begegnen sich mit Respekt. Zeiten spielen weniger eine Rolle als bei anderen Distanzen.

Viele Ultralauf-Veranstaltungen sind Einladungs- oder Freundschaftsläufe; viele Läufer nehmen private Challenges in Angriff (Joey Kelley z.B. ist mal quer durch Deutschland gelaufen, die beiden Blogger von bevegt sind in drei Tagen durch den Taunus gelaufen, ich selber bin mal solo übers arktische Plateau und die Vidda gerannt). Es gibt geheimnisumwitterte Läufe wie den Barkley Marathon – an dem man nur teilnehmen kann, wenn man zu einer bestimmten Zeit eine bestimmte eMail-Adresse anschreibt und den Veranstalter davon überzeugen kann, einen der wenigen Startplätze verdient zu haben -oder so knackige Herausforderungen wie den Badwater Marathon durchs kuschlig warme Death Valley, das einem die Schuhsohlen schmilzen lässt.

Ultraläufer laufen einfach. Sie schnallen sich einen Rucksack um und laufen 5, 7, 8 oder 10 Stunden durch die Pampa. Laufen ist für sie Abenteuer, Meditation, Zwang. Man denkt nicht drüber nach, sondern rennt. Sie bezeichnen gern selbst als “verstrahlt” und sehen ihr zeitintensives Hobby im Vergleich zu manchem Jogger oder Halbmarathoner recht locker. Jeder macht seine eigenen Erfahrungen beim Laufen, entwickelt seine eigenen Strategien und Rezepte. Es gibt sympathische Superhelden (Scott Jurek) echte Abenteuercharaktere (wie Joey Kelley) und auch Barfussläufer (wie Ted McDonald).

Ich habe nach den ersten Marathons auch festgestellt, dass mir die 42, 2km nicht ausreichten. Ich wollte nicht bolzen, sonder weiterkommen, immer weiter. Fernwanderwege ablaufen, das Ruhrgebiet und die Wildnis laufend erkunden, autark unterwegs sein, ob auf Asphalt oder auf Trailpfaden. Diese archaische Art der Forbewegung ist ungeheuer faszinierend. Man braucht nicht: ein paar vernünftige Laufschuhe, taugliche Klamotten, Wasser und Energiespender. Schon steht einem die Welt offen.

Pikes Peake Marathon (Mantiuo Springs, Colorado) USA. All rights: Hugo McCafferty
Pikes Peake Marathon (Mantiuo Springs, Colorado) USA. All rights: Hugo McCafferty

Und es tut dem Selbstbewusstsein natürlich immens gut, wenn man sich nach 60km immer noch motivieren kann, weiterzulaufen, wenn einem extremen Tief ein echtes High nachfolgt und wenn man lernt, dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wurde. Man kann eine ganze Menge schaffen, wenn man nur will. Ganz einfach. Man tut es eben. In meinem Umfeld gibt es keine Ultraläufer; die schütteln schon bei Laufstrecken über 12km den Kopf. “Da bleib ich doch lieber auf dem Sofa, das ist weniger anstrengend”, heißt es manchmal. Ich persönlich habe nichts gegen Anstrengung. Durch das Laufen habe ich sehr viel über mich und meinen Durchhaltewillen gelernt und darüber, dass man verdammt viel schaffen kann, wenn man nur will. Es hat mich zäher gemacht, positiver und langmütiger. Viele andere Dinge hätte ich vielleicht nicht bewältigt, wenn ich diese Erfahrungen während des Laufens nicht gemacht hätte.

Meine derzeitige Distanz liegt bei 100km, aber die “großen” Strecken reizen mich natürlich sehr. Ende des Sommers nehme ich an meinen ersten Berg-Ultratraillauf teil: Wie der Name sagt, geht es bergauf auf unbefestigten Pfaden, nur 90km, aber großen Respekt habe ich trotzdem vor der Strecke. Ich bin ja Flachländerin.

Wahrscheinlich wäre ich auch nicht auf die Idee gekommen, meinen Traum vom Schreiben endlich zu realisieren, auch wenn das bedeutet, morgens um vier Uhr aufzustehen. und die besten Ideen kommen mir grundsätzlich unterwegs, wenn man vom eigenen Laufrhythmus ein bisschen eingelullt wird und sich die Gedanken verselbständigen.

 

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