Die Frautorin blickt stirnrunzelnd auf den Bildschirm und liest: >>>>>>>>>>>>>>>,
gefolgt von einem Cursor, der penetrant am linken Bildschirm hängt und sich nicht ins Textfenster bewegen lassen will, egal wie wild sie über das Trackpad des Laptops wischt.
Der Mann schaut ihr über die Schulter und murmelt was von: »Ich verstehe ja nix von Literatur, aber ich prophezeie mal, ein Roman, dessen Text aus lauter liegenden Vs besteht, könnte es schwer haben, sich auf dem Markt zu behaupten. Sind die Vs umgekippt oder hat das eine künstlerische Bedeutung, für die ich noch nicht besoffen genug bin?«
»Das habe ich so nicht geschrieben«, zischt die Frautorin. »Und das blöde Trackpad spielt auch verrückt. Der Cursor klammert sich hartnäckig am linken Bildschirmrand fest. Ich kann so nicht arbeiten, stöhn!«
»Dann ist wohl der Laptop kaputt«, merkt der Mann hilfreich an. Neben dem Schreibtisch hockt der große schwarze Hund und lächelt sein unschuldiges Hundelächeln.
Frautorin ruft den Apfel*-Support an und folgender Dialog spielt sich so oder so ähnlich in vielen Autoren-Haushalten ab:
»Tach, hier ist der deutsche Apfel-Support, mein Name ist Madhukar Pratap, wie kann ich …?«
»Mein Cursor hängt am linken Bildschirmrand und ich habe eine Reihe umgekippter Vs in meiner Textzeile stehen … äh, sagten Sie, deutscher Support? Ihr Name klingt ein gaaanz klein wenig exotisch.« (Man beachte meine geschickte Political Correctness)
»Sie haben in Bielefeld-Sennestadt angerufen und die haben Sie zum nächsten freien Chat-Mitarbeiter durchgestellt, nämlich mich. Unsere Zentrale befindet sich in Varanasi am oberen Ganges. Sie haben also umgekippte Vs auf Ihrem Bildschirm?«
»Ja, und der Cursor weigert sich, den Bildschirmrand loszulassen.« Aus den Augenwinkeln sieht die Frautorin, wie ihr Mann peinlich berührt die Augen schließt.
»Aha, ich verstehe«, sagt der Supportmitarbeiter sehr sachlich, denkt eine Sekunde nach und fragt dann: »Sie haben nicht zufällig ein Haustier?«
Mein Hund ist etwas groß geraten und recht gemütlich. Seine Mutter war eine Dogge, sein Vater ein Labrador und der Onkel ein Müllcontainer. Wenn wir gefragt werden: »Was ist denn das für einer?«, dann sagen wir: »Ein turkmenischer Otterwürger, sehr selten.« Wir benutzen ihn gerne als Beistelltisch, wenn wir Leute zu Besuch haben, die wir schnell wieder loswerden wollen. Tischdecke drüber und einfach warten, bis sie ihre Gläser abstellen, hehe.
Der Hund legt gerne seinen schwarzbehaarten Kopf überall da ab, wo es sich anbietet: auf Oberschenkeln (bevorzugt die mit den teuren weißen Hosen), dem Küchentisch mit dem Sonntagsbraten oder auch mal der Tastatur. Er hat einen großen schweren Kopf, weil er so viel nachdenken muss. Wann es zum Beispiel Zeit ist fürs Abendbrot oder wie man die Leckerlidose aufbekommt. Ob Katzen immer noch gut schmecken, wenn man sie einmal gründlich um den Hof gejagt hat und was ich mir dabei gedacht habe, als ich diesen verfickten Rollrasen auslegte.
Man kann ihm nicht böse sein, wenn er seinen Kopf auf die Tastatur legt, weil er dabei so süß-treudoof schaut, dass man erst Stunden später merkt, wie geschickt er einen wieder manipuliert hat.
Leider hat er ein chronisches Sabberproblem. Dass mein Hund irgendwo gewesen ist, erkennt man daran, dass man eine Oberfläche berührt, angewidert auf das klebrige Zeugs zwischen den Fingern starrt und anschließend diverse Szenen aus dem Film Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt** im Kopf hat. Üblicherweise die, wo die Nebenfigur – die genau zwei Sätze im Drehbuch stehen hat, nämlich: »Hi, wie geht’s?« und »Aaaargh!« – in was Eklig-Schleimiges packt und zwei Sekunden später kreischend und zappelnd von der außerirdischen Mörderkreatur gemeuchelt wird.
Hundesabber ist der neue Kontaktkleber. In Kombination mit schwarzen Hundehaaren kann man interessante Skulpturen daraus formen oder man ist genötigt, den Laptop einzuschicken, drei Wochen lang wie weiland Ernest Hemingway auf einer ächzenden mechanischen Tastatur rumzuklappern, eine Sehnenscheidenentzündung zu bekommen, verzweifelt nach der cmd-Z-Tastenkombination zu suchen und Papier zu zerknüllen. Der Hund findet das toll und schleppt die Papierknüddelchen in den Garten, wo er sie für schlechte Zeiten verbuddelt – im niegelnagelneuen Rollrasen.
Richtige Autoren haben natürlich keinen schnöden Hund, sondern eine Katze, die sich majestätisch auf der Tastatur ausstreckt und darauf wartet, dass man nach dem Handy greift, um ein Oooh-wie-süß-Foto zu machen. Sobald man auch nur eine Sekunde wegschaut, schubst sie dezent die Kaffeetasse um, gähnt und wedelt träge mit dem Schwanz.
Autoren, die zu Messen fahren wollen, dürfen ihren Koffer NIEMALS in Gegenwart der Katze packen. Denn dann muss man sich nicht wundern, wenn man im Hotelzimmer den Deckel öffnet und den blinden Passagier erblickt, der sich ein kuscheliges Nestchen aus der schicken Seidenbluse gebaut hat.
Echte Autoren erkennt man übrigens nicht daran, dass sie regelmäßig Bücher veröffentlichen, sondern an den Tierhaaren an der Kleidung. Hier und da zieren Kratzspuren den Unterarm oder Glitzerspuren getrockneten Sabbers den Oberschenkel.
Autorentiere erfüllen mehrere wichtige Zwecke auf einmal:
1. Prokrastination
»Lieber Lektor, ich hätte heute mein Schreibsoll ja durchaus geschafft, aber Soraya hat so komisch gemaunzt, also habe ich sanft ihren Bauch massiert und ihr eine feine Lachspastete zubereitet. Leider hatte ich keine feldfrische Petersilie mehr im Haus, also bin ich zum Bio-Bauernhof geradelt und brauchte dort eine Stunde, um die Hofkatze von meiner Jeans zu pflücken, in die sie sich verkrallt hatte. Als ich zurückkam, hatte Soraya sich schon eine extrascharfe Sardellenpizza bestellt und ich musste mit ihr zur Tierklinik, um ihr den Magen auspumpen zu lassen. Darum konnte ich heute nur diese eine romantische Szene schreiben, in der meinem Protagonisten der Magen ausgepumpt wird.«
2. Gesundheit
Mens Sana in Corpore Sano (auf gut Deutsch: Die Sahne muss abtrainiert werden). Autoren sitzen viel und müssen daher besonders auf körperlichen Ausgleich achten. Sabberspuren aus den Textilien schrubben oder den Rollrasen flicken zum Beispiel. Mein großer schwarzer Hund geht gerne spazieren, es sei denn, es regnet, es scheint die Sonne oder in der Küche steht eine Leckerlidose. Es könnten ja perfide Einbrecher vorbeikommen und die Dose klauen. Mein Patentrezept gegen Bewegungsmangel: dreimal täglich fünfzig Kilo widerspenstigen, klebrigen Köter die Waldwege entlangschleifen. Treffen wir unterwegs ein Reh, dann tauschen wir die Rollen – falls ich so dämlich war, die Leine in der Hand zu behalten.
Die nächsten Stunden verbringe ich damit, Brombeerdornen aus meiner Haut zu zupfen.
3. Abenteuer
Die Deadline rückt näher, das Finale muss noch geschrieben werden, doch im Kopf herrscht gähnende Leere. Du greifst nach dem lebensrettendenden dicken Notizbuch, in dem du letztens diesen genialen Einfall notiert hattest – und greifst ins Leere.
Den zerkauten Umschlag des Notizbuches findest du unterm Rollrasen im Garten, wo ihn der Hund sorgfältig verscharrt hat. Die einzelnen Seiten entdeckst du
a) im Hamsterkäfig, wo Matze sich ein Nest aus den zerfetzten Seiten gebaut hat – bei der Gelegenheit stellt sich heraus, dass Matze eine Matzine ist und dreiunddreißig Hamsterkinder zur Welt gebracht hat. Nun beginnt das Rätselraten um die Vaterschaft und alle schauen misstrauisch den Leguan an, der betont gleichgültig seine Abendbrot-Fliegen zerkaut;
b) im Katzenklo, weil die Katze die neue Katzenstreu nicht mag, aber das handgeschöpfte Papier aus deinem sauteuren Notizbuch immer schon faszinierend fand;
c) im Wespennest am Badezimmerfenster;
d) nie wieder, aber dein Haustier sieht heute ungewöhnlich pummelig aus. Außerdem hat es Tintenflecke auf der Zunge.
4. Stressabbau.
Haha, das war ein Witz (siehe Punkt 3)
5. Bildung
Wer eine freigängige Katze besitzt, lernt sehr viel über die heimische Fauna.
»Schatz, da liegt so ein blutiges Fellfetzendingens auf meinem Kopfkissen. Ist das eine Springmaus?«
»Jetzt nicht mehr. Allerdings tippe ich eher auf ein … sieh mal, es hat ein hübsches Glitzerhalsband um. Oh verdammt, das war der Chihuahua der Nachbarin!« An dieser Stelle reibt sich der Blutige-Thriller-Autor die Hände, erspart er sich doch mühsame Recherche bei der Beschreibung einer zerstückelten Leiche.
Wer einen Hund besitzt und auf einem Hof lebt, auf dem es von freigängigen Katzen wimmelt, lernt sehr viel über sportliche Höchstleistungen von Tieren und darüber, dass Katzen nachtragend sind. Immer dann, wenn man arglos Gassi gehen will, lassen sie sich in bester Ninja-Manier mit ausgefahrenen Krallen vom Dach direkt auf den Hund fallen – und wieder erinnert die Frautorin sich daran, dass sie besser die Leine losgelassen hätte.
Wer ein exotisches Haustier, also ein Chamäleon, einen Piranha oder einen Mann besitzt, lernt bald, dass diese Lebewesen ganz gut ohne den Autoren zurechtkommen. Ab und zu mal eine Sardellenpizza ins Gehege werfen und alle sind glücklich. Leider hat man keine Ausrede mehr, warum man sein Schreibsoll für heute nicht erreicht hat.
Wer kein Haustier besitzt, aber seine Schreibklause auf dem Land hat, lernt schnell, dass er mehr Haustiere besitzt, als ihm lieb ist. Das beginnt mit der Feldmaus, die mal in deiner Klause nach dem Rechten sehen will und ein bisschen am Computerkabel knabbert – Brizzel! Maus tot – (gleichzeitig klingelt das Lektorat durch und fragt zum X-ten Mal, wo das überfällige Manuskript bleibt), es geht über die Rotte Wildschweine, die den Anblick deines frisch ausgerollten Rollrasens nicht verknusen kann, und endet mit ihrer Majestät, der Wespenkönigin, die kraft ihres Amtes entschieden hat, ihren neuen Palast an deinem Badezimmerfenster zu errichten – selbstredend aus den Seiten deines handgeschöpften Notizbuches. Wespen können ziemlich laut kauen, das ist kein Scherz. Sie rupfen kleine Stückchen aus allem, was sich in zellulosen Baustoff verwandeln lässt und zerkauen es zu einem Brei, um ihre Nester daraus zu bauen. Wer auf dem Balkon so einen Sichtschutz aus ungeschältem Schilf besitzt, kann manchmal an lauen Sommernachmittagen dem lieblichen Malmen und Knispeln der Wespen lauschen.
Wer kein Haustier besitzt und nicht auf dem Land wohnt, lernt bald seine neuen Nachbarn kennen. Nämlich dann, wenn deren Futterheimchen, die als Frühstück für die zahme Boa Constrictor gedacht waren, ausbüxen und bei dir um Asyl flehen. Heimchen sind kleinfingerlang und zirpen. Sehr laut. Die ganze Nacht. Bevorzugt hinter Möbeln, die sich nicht fortrücken lassen. Vorteil: Wenn der Nachbar kommt, um die Heimchen einzufangen, kannst du mal wieder hinter den schweren Möbeln staubsaugen.
Wenn der Nachbar keine Boa Constrictor hat, dann hast du eine Nachbarin und die wiederum hat einen Chihuahua, der nicht allein bleiben kann. Du lernst, dass kleine Hunde eine überraschend strapazierfähige Lunge besitzen. Und du denkst ernsthaft darüber nach, dir eine freigängige Katze zuzulegen, die sich elegant von Balkon zu Balkon hangeln kann auf der Suche nach einem kleinen pelzigen Happen mit Glitzerhalsband.
6. Sympathiepunkte
Wenn dein neuer Thriller Nur der Rollrasen war Zeuge nicht so gut ankommt und die Ein-Sterne-Rezensenten sich über die widerliche Magen-Auspump-Szene mit der haarklein beschriebenen halbverdauten Sardellenpizza beschweren, dann postest du einfach ein paar Bilder von deinem Haustier, das sich elegant auf deiner Tastatur fläzt und du hast zumindest ein paar Sympathiepunkte wiedergewonnen.
Poste bitte NICHT die überraschend hohe Rechnung für das ausgetauschte Trackpad oder die Fotos von der frischen Buchlieferung, deren sämtliche Seiten mit Sabber verklebt sind. Nutze diese Gegebenheit lieber, um einen Sciencefiction-Horrorroman über ein schleimiges Alien zu schreiben, das sich in einer Schreibklause eingenistet hat und als schwarzer Hund tarnt.
7. Kreativität
Selbst der gemeine Autoren-Wellensittich heißt nicht einfach Hansi, sondern Sancho Pansa oder Blade Runner. Unser Hund – das ist die traurige Wahrheit – heißt Sean Vader Othello (wir konnten uns einfach nicht einigen. Und nein – ich bin NICHT der Star Wars-Fan bei uns!). Meist nennen wir ihn aber: »Musst du denn alles vollsabbern, du Mistvieh?«
Autoren-Haustiere brauchen einen inspirierten Namen oder wenigstens einen schön ironischen wie Schantall oder Danke, Merkel.
Und Tiere, die in deinem Roman vorkommen, brauchen auch noch einen coolen Namen. Hier hilft das eigene Haustier immens weiter. In meinem Fall ist es der hauseigene sabbernde schwarze Beistelltisch, der bei mir Assoziationen an Alien weckt. Darum heißt Frau Funkes korrupte Hündin in meiner Bullhead MC-Romanserie auch Ripley, nach der Heldin in der Alien-Filmreihe.
8. Illustre Gesellschaft
Günter Grass schrieb Hundejahre und Katz und Maus möglicherweise nur, weil eine wuschelige Hündin namens Kara bei ihm wohnt. Als er 1999 den Literaturnobelpreis erhielt, erfuhr die Hündin als erste davon (keine Ahnung, was Frau Grass dazu gesagt hat).
In Edgar Allan Poes bekanntesten Werken taucht immer ein Tier auf; der Rabe Nimmermehr, ein schwarzer Kater, eine gruselige Ratte oder ein Affe wie in der berühmten Story Doppelmord in der Rue Morgue. Poe lebte in völliger Armut und starb unter nie geklärten Umständen. Sein treuester Gefährte war eine Katze, der er auch alle Werke vortrug und die er seine Muse nannte.
Thomas Mann hält große Stücke auf seinen Sennenhund Bruno. »Ohne Hund würde ich schon lange nicht mehr leben«, hat er gesagt, und dass sein Bruno für augenöffnende Erfahrungen gesorgt habe. Vermutlich hat Herr Mann mal Rollrasen ausgelegt und kurz darauf sein wichtiges Notizbuch vermisst.***
Worauf ich hinaus will: Wenn du nicht in irgendeiner Form ein Haustier hast, bist du eigentlich kein richtiger Autor. Da kannst du noch so preisverdächtige Bücher schreiben: Es fehlt dir das gewisse Etwas (also die Hundehaare an der teuren weißen Hose oder die Katze im Messeköfferchen, die du erst entdeckst, wenn du dein frisches Manuskript dem erwartungsfreudigen Diogenes-Verlagschef übergeben willst und in einen Haufen Konfetti greifst).
Und nein, die Sardellen auf deiner Pizza zählen nicht als Haustier.
Wenn du mir nicht glaubst, wie ungemein wichtig Haustiere fürs Autorendasein sind, dann solltest du dir anschauen, was meine Kolleginnen zu dem Thema zu sagen haben:
Lisa Skydla – Viecher! Lisa ist stolze und schwer beschäftigte Besitzerin eines kleinen Zoo samt Greifvögeln. Und trotzdem schreibt sie irgendwie nebenher noch tolle Bücher.
Margaux Mavara – Von Katern und Katzen und sinnvollem Leben an sich Der Chef im Haus Margaux ist nicht der zweibeinige Dosenöffner, soviel steht fest. Ihr Kater hat einen sehr interessanten Namen … aber lest selbst.
Katharina V. Haderer – Der zuckende Mauscursor und die Katze vor dem Bildschirm Agathe! Gott, ich bin verliebt in Agathe! Kathis Katzenanalyse ist großartig – und die Fotos sind es sowieso.
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*ich wollte den Markennamen nicht laut rausschreien. Aber ich möchte erwähnen, dass ich PCs aus tiefstem Herzen hasse, und wenn sie noch so Sabber-resistent sind.
**Die Handlung von Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt ist schnell zusammengefasst: Raumschiffbesatzung wird von schleimiger, tödlicher Kreatur dahingerafft. Es überleben nur die Offizierin Ripley und (sic!) eine Katze.
Der Film verhalf übrigens erstmals einer Frau (Sigourney Weaver) zum Durchbruch im Actiongenre.
*** Dass Katzen sich einen Dosenöffner halten, ist nichts Neues:
Musen auf vier Pfoten: Schriftsteller und ihre Hunde
Musen auf vier Pfoten: Katzen und ihre Schriftsteller