Ich plotte derzeit fleißig an der Fortsetzung der Bullhead MC-Serie.
Um genau zu sein, starre ich auf den Monitor, schreibe so etwas wie Plötzlich geschah etwas Unerwartetes …, starre wieder auf den Bildschirm und betätige mit resigniertem Seufzer die Killer-Taste, um die Worte zu löschen. Ich habe nämlich keine Ahnung, wie dieses Unerwartete aussieht.
Ich weiß, dass ich es morgen weiß. Oder, was wahrscheinlicher ist, heute Nacht so gegen halb vier. So ist das mit den unerwarteten Dingen. Sonst wären sie ja erwartet.
Es wird ja immer gerne über Schreibblockaden geredet, wenn es im Text nicht weitergeht, wenn man auf seinen Monitor starrt und darüber nachdenkt, das Mistding zu packen und aus dem offenen Fenster zu werfen. Nimm dies, du doofes Manuskript!
Das Aus-dem-Fenster-werfen erspare ich mir, weil meine Schreibklause ebenerdig ist und der Effekt somit eher unspektakulär. Außerdem befindet sich die Klause ja auf dem platten Ländle, auf einem ehemaligen Bauernhof und die Leute hier halten mich auch so schon für seltsam. Städterin, fährt ein viel zu lautes Motorrad, hat finster blickende Besucher und trägt bescheuerte Klamotten (ich habe so ein echt schickes Beanie mit Nieten und Pailletten drauf. Das sieht toll aus, finde ich, aber der alte Bauer guckt mich so komisch an, als wäre ich eine entlaufene Discokugel). Wenn ich also jetzt noch Monitore aus dem Fenster werfe, muss ich womöglich damit rechnen, dass der Dorfmob mit Fackeln und Mistgabeln …
Also: Schreibblockade.
Ich glaube wirklich, die gibt es nicht. Jedenfalls hatte ich nie eine. Wenn es nicht weitergeht, weiß ich, dass ich mich verrannt habe. Dann muss ich zurück zur letzten Abzweigung (bildlich gesprochen) und einen anderen Weg nehmen. Oder eine Pause machen und mich mit einem anderen Schreibprojekt beschäftigen (zum Beispiel meiner niemals endenden Endzeit-Story, aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt … ihr kennt das).
Das Unterbewusstsein, sozusagen der blasse, unterbezahlte, aber unermüdliche Angestellte, den man unten im Keller eingesperrt hat und ab und zu mit kalten Pizzaresten füttert (ich lege für ihn immer die harten Kanten beiseite, die mag ich nämlich nicht), arbeitet derweil fleißig und von mir unbemerkt an dem Problem weiter. Oben im Bewusstsein wird hemmungslos Prosecco getrunken und der Chefin gegenüber mit grandiosen, aber nutzlosen Einfällen angegeben. („Hey, wie wäre es mal mit ’ner Story über einen Luxusliner, der gegen einen Eisberg kracht und dann steht da diese Frau mit ausgebreiteten Armen am Bug und …? Ich wette, auf DIE Idee ist noch keiner gekommen!“)
Irgendwann, meist so gegen halb vier Uhr nachts, klingelt das innere Telefon und eine schüchterne Stimme flüstert: „Ich glaube, ich weiß jetzt, welches unerwartete Ereignis den Bullhead-Bikern zustößt. Ehm, könnte ich vielleicht eine Pizzakante haben? Und eine Decke? Hier unten ist es kalt.“
Während ich also darauf warte, dass das Unterbewusstsein endlich seinen verdammten Job macht (da ist man so großzügig, schneidet extradicke Kanten von der Pizza ab und der faule Herr Unterbewusstsein spielt sich unten im Keller an den Füßen! Ehrlich, man wird nur ausgenutzt!), fällt mir doch glatt ein, dass ich meine Fünf Dinge, die unbedingt in einen erfolgreichen Roman gehören ja auch mal weiterschreiben könnte.
Unvollendete Projekte: Jeder Autor sollte welche haben. Ist gut gegen Schreibblockaden.
Hier also Numero 3: Die Romanze.
Hand aufs Herz: Wollt ihr eine Geschichte lesen, in der Held und Heldin irgendwo aufeinander treffen, sich gemeinsam ins Abenteuer stürzen, verzweifelt um ihr Leben kämpfen, furchtbar finstere Geheimnisse aufdecken – und dann nach getaner Arbeit etwas wie „Dann bis zum nächsten Mal… ehm, wie war noch mal dein Name?“ sagen?
Romanze klingt vielleicht etwas abgedroschen und erinnert an den verwegenen Freibeuter mit Errol Flynn-Bärtchen, der die vollbusige Kommandeurstochter leidenschaftlich in seine Arme reißt. Oder an den smarten jungen Oberarzt mit den hach-so-süßen-Grübchen (und dem Cabrio-Sportwagen), dem die schmachtenden Krankenschwestern gerne mal – „Hupsi, ich bin ja sooo ungeschickt“ – vor die Füße fallen.
In der Literatur wird Romanze als lyrisch-epische Verserzählung spanischen Ursprungs definiert. Vergesst das sofort wieder, das ist langweilig.
Romanze klingt nicht von Ungefähr wie Roman und steht in meiner Welt für das „Naaa, wird das was mit den beiden oder erschießt sie den süßen Lockenkopf versehentlich mit der Armbrust beim finalen Kampf gegen den Bösewicht?“
Romanze kann im Buch alles sein, vom braven Anhimmeln des unerreichbaren, sexy Rockstars bis hin zum wilden, animalischen und expliziten Quer-durch-die Stadt-Gevögele zweier verrückter Punker. Vom Popo-Verhauen der ekstatisch quiekenden Praktikantin bis zum herzergreifenden Seufzer am Strand, wo Junge und Mädchen im warmen Sand sitzen und wissen, dass sie sich nie, nie, NIE wieder sehen werden. Weil er gerade an einer furchtbaren Krankheit stirbt oder sie sich der Ewig Zölibatären Schwesternschaft anschließen muss, um ihn zu retten oder so.
Romanze steht für das, was uns im Innern berührt. Action und Abenteuer unterhalten uns, Geheimnisse bringen uns zum Grübeln und fiese Szenen lassen uns mehr oder weniger wohlig erschauern. Aber richtig tief geht eine Geschichte nur, wenn sie auch die Protagonisten tief, tief innen berührt (oder ein, zwei Etagen tiefer). In einem guten Roman erlebt man alles gemeinsam mit den Helden. Wenn man dann das Buch zuklappt, ist es oft, als erwache man aus einem Traum. Man hat binnen kürzester Zeit Gefühle durchlebt und durchlitten, die man vielleicht im ganzen Leben nicht kennenlernt (mangels Gelegenheit oder weil man tatsächlich obiger Schwesternschaft angehört).
Gefühle sind die Essenz des Daseins. Ohne Hass oder Liebe, Angst, Schmerz, Freude haben wir auch keinen Antrieb. Dann landen wir eines Tages im feuchtkalten Verstandeskeller einer stinkfaulen Autorin und arbeiten rund um die Uhr als vernachlässigtes Unterbewusstsein, das sich mit einer steinharten Pizzakante zufriedenstellen lässt.
Die größten Dramen, die bewegendsten Stories, die verrücktesten Geschichten verdanken wir Romanzen, glücklichen wie unglücklichen. Das fängt bei Paris und Helena, bei Romeo und Julia an, geht über Prince Charles und Camilla, Forrest Gump und seine Jenny, die beiden Brokeback Mountain-Cowboys Jack und Ennis (hach, Heath!) und endet noch lange nicht bei der Romanze um die beiden Game of Thrones-Darsteller von Jon Snow und Ygritte, die nicht nur in der Serie zum Paar wurden.
Die Menschheit wäre gar nichts ohne Geschichten. Geschichten dienen dazu, das Leben zu erklären (ich sage nur: Götter, Dämonen und scheibenförmige Welten), es bunt zu färben, die Realität erträglicher zumachen und uns natürlich anzurühren, wenn der Alltag es nicht schafft. Geschichten sind oft die Motoren, die das Leben vieler Menschen angetrieben oder es verändert haben.
Bücher geben uns Wissen. Damit meine ich nicht das nutzlose, aber beeindruckende Wissen, mit dem man auf irgendeiner öden Stehparty einen auf gebildet macht. Sondern das Wissen, dass alles möglich sein kann. Dass man vieles möglich machen kann.
Gut, manches geht nur in der Fantasie (wie bei „Beauty and the Beast“ oder wenn es um die, nun, nennen wir es „Liebe“ zwischen Mensch und Pterodaktylos geht – ich schwöre, es gibt Romane zu diesem Thema! Creature Romance oder so ähnlich. Ich möchte nicht näher darauf eingehen, es verstört mich).
Aber unsere Empfindungen sind real, da beißt die Maus keinen Faden ab. Ob diese Empfindungen durchs Lesen, Filmgucken oder Selbsterleben hervorgerufen werden, ist dem Verstand erst mal schnuppe. Wenn man zum Kleenex greifen muss, während man die ergreifende Geschichte von Mathilde und Manech verfolgt („Mathilde“ von Jean-Pierre Jeunet mit Audrey Tautou, 2005), dann lässt sich nicht leugnen, dass wir berührt worden sind.
Und wenn Sascha Duncan, die dank eines Defektes „anders“ ist, und Lucas Hunter dafür sorgen, dass es im Magen zu flattern beginnt („Leopardenblut“, erotische Fantasy Romance von Nalini Singh): Perfekt!
Wer fühlt, der lebt. Gefühlsachterbahnen sind toll. Leider ist es im wirklichen Leben –zwischen Aufstehen um sieben, Kinder für die Schule fertigmachen, im Büro Aktennummern raussuchen und die EDV anrufen, weil der Büro-PC abgestürzt ist („Haben Sie es schon mit An- und Ausschalten versucht?“ – The IT-Crowd, britische SitCom, 2006-2013), Mikrowellenmenü einkaufen, danach zum Pilateskurs gehen – nicht ganz einfach, noch ein bisschen Drama, Liebe, Erotik oder Rachegelüste in den Alltag einzubringen.
Manche holen sich ihre Dosis Gefühle beim Tratschen über die Neue in der Buchhaltung, beim Posten von Hasskommentaren auf Facebook oder beim Szenemachen („Du liebst mich nicht mehr! Ich bin dir egahaaal, heul!“), weil der Freund wegen des Staus auf der A40 eine Viertelstunde zu spät ist.
Das ist schlecht fürs Gemüt und fürs Karma sowieso, aber immerhin ist heute etwas passiert.
Die klugen Leute lesen oder schauen gute Filme und fühlen sich auf positive Weise im Innern (oder ein, zwei Etagen tiefer) berührt, sogar wenn es kein Happy End gibt. Gute Geschichten begleiten uns noch eine ganze Weile. Und sie sind deshalb gut, weil sie eine Romanze beinhalten, die zu Herzen geht (und vielleicht ein, zwei Etagen tiefer).
Wenn du also gerade an einem Roman schreibst, vergiss die Romanze nicht. Die Romanze sorgt dafür, dass dein Leser einen triftigen Grund hat, bis zum Ende durchzuhalten. Denn wofür kämpft man sich durch einen Kugelhagel, einen Sumpf der Korruption oder die Warteschlange beim Amt, wenn nicht für die Aussicht, glücklich zu werden tief im Herzen (oder wenigstens ein, zwei Etagen tiefer)?
Und komm mir nicht mit „Ich schreibe aber eine Zombie-Apokalypse aus der Sicht eines Zombies. Da ist kein Platz für romantische Gefühle!“
Die Ausrede zieht nämlich nicht.
Der Beweis: „Warm Bodies“ (2013, USA). Ohne den verliebten Zombie, der dank Julie sogar den Tod besiegt, wäre der Film nur ein weiterer öder Ich-fresse-dein-Gehirn-Splatterstreifen geworden, der es nicht mal in die Kinos geschfft hätte.