Drogen, Schampus, Büchergroupies – Der Autorenalltag

Okay, das mit den Drogen, dem Schampus und den Groupies habe ich nur geschrieben, um Aufmerksamkeit zu generieren.
Hat funktioniert. Hehe.
In Interviews werden wir Autoren recht oft gefragt, wie denn so unser Schreiballtag aussieht. Meist drucksen wir dann herum und nuscheln etwas von Kaffee, 2000 Worte schreiben, Kaffee, drei Kapitel überarbeiten, Kaffee, den Hund kraulen (wahlweise die Katze von der Tastatur schieben) und einen frischen Kaffee aufbrühen. Wenn wir in den sozialen Medien etwas aus unserem Alltag posten, dann ist es üblicherweise ein Screenshot unseres Wordcounts oder der lustige Austausch mit der Lektorin. Gern auch ein Foto vom frisch aufgebrühten Kaffee in der aktuellen Tasse des Monats mit einem tiefgründigen Spruch darauf. Auf meinen Fotos dürft ihr meine Büchertassen bewundern, weil ich keine einzige Sprüchetasse besitze.

Foto: Danielle MacInness/unsplash

Aus gutem Grund: Der beliebte Tassenspruch Schriftsteller auf Koffein ist so überflüssig wie ein Kropf. Offensichtliche Dinge benötigen keinen Hinweis. Man muss nur dem Autor dabei zusehen, wie er kichernd auf seinem Stuhl herumrutscht und manisch in die Tasten hämmert (oder alle zehn Minuten zur göttlichen Kaffeemaschine pilgert). Meine Schreibklause erkennt man daran, dass überall vergessene, halb leere Kaffeebecher herumstehen und auch spätnachts noch jemand vorm Computerbildschirm umherzappelt.
Eine Kollegin von mir besitzt eine Tasse, auf der steht: Warnung: Ich bin Autor. Alles, was du sagst oder tust, werde ich in einer Story verwenden.
HALLO? Ich warne doch die Leute doch nicht vor! Sie können mich später noch verklagen, wenn sie wollen. Ein Straßenräuber trägt schließlich auch kein Schild um den Hals: Hey, ich überfalle dich jetzt.
Vor vielen, vielen Jahren habe ich mal eine Tasse mit der Aufschrift Die Arbeit erledigt sich nicht von allein geschenkt bekommen. Dieses praktische Behältnis eignet sich hervorragend zum Aufbewahren von Schrauben und Muttern und steht jetzt im Gartenschuppen. An manche grausame Wahrheiten will man einfach nicht bei jedem Schluck Kaffee erinnert werden.

Was ich damit sagen will: Wenn Autoren wie ich lang und breit über ihre Tassen schwadronieren können, kann man sich ausrechnen, dass der Glamourfaktor unserer Tätigkeit auf einer Skala von 1 bis 10 bei etwa -3,5 liegt. Wir sitzen in unserer Klause, reden mit uns selbst und stellen gegen fünfzehn Uhr fest, dass wir die Pyjamahose noch an haben. Unsere Droge heißt Koffein und Schampus gibt es nur, wenn unser Buch auch zwei Tage nach Veröffentlichung noch nicht von Amazon wegen eines anstößigen Covers gelöscht wurde (und der Schampus heißt eigentlich Hugo mit Holunderblüte und wird aus einer Kaffeetasse getrunken). Was die Groupies betrifft – zu meinem unendlichen Verdruss besteht meine Zielgruppe nicht aus sechsundzwanzigjährigen, durchtrainierten männlichen Models, die alle ein Kind von mir wollen. Vermutlich haben die auch gar keine Zeit zum Lesen, die müssen ja ihr Sixpack trainieren oder als Feuerwehrmann Leben retten.
Sogar ein Finanzbeamter erfährt mehr Thrill im Job, wenn er beispielsweise in einer Steuererklärung liest: Ausgaben für Heftklammern: 289.000,-€. Bei der anschließenden Betriebsprüfung wird ihm für den Posten Geschäftsessen: 10.500,-€ augenzwinkend eine Rechnung vom Saunaclub Natascha vorgelegt („Ich könnte da was für Sie arrangieren, Herr Finanzbeamte. Die Mädels dort sind wirklich anschmiegsam“. Zwinker, zwinker) und der Maserati auf dem Parkplatz des Firmenchefs gehört angeblich dem Azubi aus der Lagerverwaltung (jedenfalls ist er auf ihn zugelassen und nicht auf den Boss; der Azubi selbst fährt auf einem klapprigen Damenrad zur Arbeit).

Foto: Simone Acquaroli/unsplash

Wir Autoren erleben den Thrill nur, wenn wir ihn uns zurechtfantasieren. Wir hibbeln dann aufgeregt – bis zum Anschlag mit Koffein abgefüllt – auf unserem Schreibtischstuhl herum und löschen mal eben einen ganzen Hamburger Vorort aus oder so. Erst danach grübeln wir stundenlang über die Frage nach, ob man mit einer einzigen Handgranate überhaupt einen zehn Meter tiefen Krater erzeugen kann. Wir googeln und wikipedieren und fragen andere Autoren, die auch noch nie eine Handgranate in den Fingern hatten. Daraufhin zucken wir die Schultern und schreiben: Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, klaffte ein fünfzig – ach, was sage ich? – ein hundert Meter tiefer Krater im Blankeneser Boden. Thema erledigt. Zur Belohnung gibt es einen Kaffee.
Ich bin ja so eine, die es genau wissen will. Ich rufe in solchen Fällen wen an, der jemanden kennt, der einen komischen Ruf hat, und der kennt jemanden, der einen noch komischeren Ruf hat, und der wiederum hat einen tätowierten Cousin, der mal in Ärger geraten, aber ansonsten ein echt töfter Typ ist. Dann muss ich bis zum Wochenende warten, bevor Herr Komischer Ruf und ich eine Tour ins Grenzgebiet zu Tätowierter Cousin unternehmen und da darf ich dann mit Sachen spielen, die man in einem anständigen Haushalt nicht herumliegen lassen sollte. Dabei gucken mich alle nervös an und sagen Sätze wie: „Wenn du den Stift gezogen hast: ERST wegwerfen, DANN die Ohren zuhalten“ oder „Aus dem Loch da vorn kommt das Bumm“.
Um also meinen drögen Autorenalltag aufzupeppen, praktiziere ich mit Freuden realistische Recherche, die manchmal etwas zu weit führt. Resultat: Ich kann mittlerweile mit allen möglichen Waffen umgehen und treffe auf dem Schießstand sogar überraschend oft das Ziel. Krav Maga (israelischer Nahkampf; nicht schön, aber effektiv und hilfreich bei Kampfszenen) ist seit Jahren mein sportliches Hobby (Autoren müssen ja auf ihre Gesundheit achten. Zugegeben, da ist eine Sportart, bei der einem die rechte Schulter ausgekugelt wird, vielleicht eher suboptimal … Aber ich darf mich mit Männern hauen) und wenn mir seltsame Leute noch seltsamere Einblicke in oberseltsame Machenschaften geben, komme ich leider meist zu folgender Erkenntnis: „Das kann ich nie und nimmer schreiben! Das glaubt mir kein Mensch!“ Im Kopf sehe ich dabei bereits die Ein-Sterne-Rezis: „Was für ein hanebüchener Unsinn! Die Dame hätte mal ordentlich recherchieren sollen.“ Das nennt man dann vertane Zeit. Aber Spaß hat’s gemacht.

Man könnte also meinen, der Autorenalltag besteht darin, möglichst viele Wörter zu einer halbwegs glaubhaften Story zusammenzufügen und nebenher zu prokrastinieren – sprich, zu recherchieren (hier muss man, genau wie bei Kaffee, die richtige Dosis finden. Ich suche sie noch).
Dies ist aber nicht einmal die halbe Wahrheit.

Foto: Felix Russell-Saw/unsplash

Indie-Autoren und Selfpublisher verbringen erschreckend viel Zeit mit jenem Drumherum, von dem ich kleines Naivchen damals, als ich meinen allerersten Roman schrieb, nix ahnte. Jetzt bestimmt es manchmal den Großteil der Arbeitszeit. Wir Indies sind schließlich unser eigener Verlag.
Werbung machen, zum Beispiel. Twittern, Instagrammen, Facebooken, Pinteresten, Zettel-an-Schaufenster-kleben und frohgemut mit einem Stapel Bücher unterm Arm die örtliche Buchhandlung aufsuchen, sich vom Buchhändler komisch angucken lassen („Selfpublisher, sagten Sie? Ähm, ja … nett, aber leider habe ich in meinem Laden gar keinen Platz für Ihr … nun ja, Buch“). Zur Strafe versteckt man heimlich in jedem Spiegel-Bestseller einen Flyer seines neuen Romans Burning Love – Feuerwehrmann des Herzens*, lässt flink den aktuellen Schätzing aus dem Platz 1-Regalfach verschwinden und stellt sein eigenes Werk dorthin. Sieht gut aus, so ein heißer Feuerwehrmann direkt neben Paulo Coelho. Schnell noch ein schickes Foto für Instagram machen und dann nix wie weg!
Du würdest gerne am nächsten Roman schreiben, aber dein Newsletter ist längst überfällig und dein Blog wird auch nicht von freundlichen Außerirdischen betrieben. Blöd nur, dass du gerade nicht weißt, worüber du schreiben sollst. Im Autorenalltag passiert ja nichts. Erst mal einen Kaffee, dann sehen wir weiter.
Dann rechnest du durch, ob es sich lohnt, eine bezahlte Anzeige in der Cosmopolitan zu schalten (lacht nicht: Ich habe das ernsthaft gemacht und es hat sich tatsächlich gelohnt), ob du die zigtausend Ocken für einen Messestand auf der Frankfurter raushauen sollst oder das Geld sinnvoller in einer Anti-Seehofer-Kampagne angelegt ist. Du grübelst über eine Leserunde bei Lovelybooks nach, weil du gern mehr Feedback für Burning Love hättest. Aber Leserunden wollen intensiv betreut werden und das bedeutet weniger Zeit zum Schreiben. Wenn du Glück hast (oder Pech), nehmen nur drei von den dreißig Lesern, denen du ein Buch geschickt hast, an deiner Leserunde teil. Von den anderen hörst du nie wieder ein Wort.
Du zerbrichst dir den Kopf über die vernichtenden Rezensionen für deine Feuerwehrmann-Romance (und möchtest jetzt zu gerne eine Flasche Trotz-Schampus öffnen), dann kalkulierst du irrwitzige Preisaktionen durch, um den Verkauf anzukurbeln, machst noch mal ordentlich Werbung auf Facebook und wirst massenhaft entliked. Darauf einen Kaffee. Trotz-Schampus ist gerade nicht im Haus.
Du musst dich noch um die Hardcover-Ausgabe und um hübsche Lesezeichen kümmern. Ein paar weitere Goodies wären eine nette Geste für die Leser und die Werbeanzeigen sollen auch nicht wie mit dem Löschschlauch zusammengebastelt aussehen. Zudem möchtest du feuerfarbenen Glitzer auf den Lesezeichen haben, aber der Hersteller verlangt dafür dein Erstgeborenes. Als Autor triffst du die einzig richtig Entscheidung und orderst gleich eine LKW-Ladung von den Feuer-Glitzer-Lesezeichen. Kunst verlangt schließlich Opfer. Dir bleibt ja noch das Zweitgeborene.
Die meisten Autoren sind so schlau, sämtliche gestalterischen Aufgaben an Dienstleister zu vergeben. Ich nicht, obwohl ich weiß, dass ich mir damit höllisch viel Schreibzeit erkaufen könnte. Aber es macht halt Spaß (zumindest so lange, bis man feststellt, dass das traumhaft heiße Feuerwehrmannfoto, dass man UNBEDINGT fürs Cover haben will, nur eine Standardlizenz besitzt, also nicht aufs Cover darf). Außerdem schadet mir etwas gestalterische Übung nicht, falls ich eines Tages zu dem Schluss kommen sollte, dass das Bücherschreiben zu nervenaufreibend für mich ist.
Der Buchhaltungskram will erledigt werden, dann das Anti-Schreiben (das sind Rechnungen, Versandlisten, Titelmeldungen und sonstiger Blablub) und – ganz wichtig – das viertelstündliche Checken der Verkaufszahlen. Letzteres kann bei manchen Autoren zu einer Obsession werden.

Foto: Steve Harvey/unsplash

Ich bin da hartgesotten; ich will es gar nicht wissen, sondern lasse mich bei der Tantiemenzahlung überraschen; das ist viel spannender. Stattdessen checke ich viertelstündlich Spotify und Tonspion, ob die neue Musik für mich haben. Musik ist ja essentiell zum Schreiben und bei der Gelegenheit kann man sich auch mal Gedanken über eine Playlist zum Buch machen. Wo wir schon dabei sind: Wie wäre es mit einem Buchtrailer? Irgendwas mit Flammen und einer Explosion. Ob man heimlich einen Krater in Blankenese sprengen könnte, nur einen klitzekleinen? Ist ja für die Kunst.
Gegen Abend antwortet man auf die eMails der Leser, die wissen wollen, ob im Buch sodomitische Praktiken vorkommen, ob der Feuerwehrmann auf dem Cover schon verheiratet ist und warum zum Deibel man bei einem solchen Schurkenkonzern wie Amazon veröffentlicht. Anschließend erteilt man höfliche Absagen an wildfremde Menschen, die ihre Biografie geschrieben haben wollen („Sie bekommen auch 4% vom Gewinn!“) oder dir eine noch nie da gewesene, absolut geile Bestseller-Idee verkaufen wollen („Ich würde es ja selber schreiben, aber ich habe keine Zeit“). Man löscht die Mail der Prinzessin aus Mgwonga, die nicht weiß, wohin mit ihrem Millionenerbe und das Angebot der netten Frau, die dir günstige Gabelstapler verkaufen möchte. Man löscht aus Versehen die Mail der Bloggerin, die gerne ein Interview machen möchte, durchforstet den Papierkorb und entdeckt dabei den Newsletter eines berühmten Influencers, der schreibt, dass Feuerwehrmann-Liebesromane total out seien.
Dann meldet sich der Internetanwalt und teilt dir mit, dass es wieder eine Gesetzesänderung gegeben hat und du förmlich schon mit einem Bein im Knast stehst, weil das Impressum deines Blogs einen Smiley enthält.
Zack, Mitternacht. Der Hund kommt ins Arbeitszimmer getrottet und wirft dir seinen leeren Napf vor die Füße (wahlweise springt die Katze auf die Tastatur und im Textfeld steht dann: owetnvkizsajkfuwezr. Dann drückt die Katze Enter und deine Umsatzsteuervoranmeldung ist raus).
Zeit, über den Feierabend nachzudenken.
Im Wohnzimmer sitzt ein fremder Mann und mampft einsam sein kaltes Fast Food. Im Fernsehen läuft Stirb langsam und du denkst: Oh, schon wieder Weihnachten?
„Wer sind Sie und was machen Sie in meiner Wohnung?“, fragst du den Fremden. „Sind Sie ein hartnäckiger Büchergroupie?“ Bitte sag ja!, flehst du stumm.
„Nicht schon wieder, Schatz.“ Der Mann seufzt. Er hält einen Kaffeebecher hoch, auf dem steht: Vergiss nicht, dass du in einer Beziehung lebst. „Diesen Becher habe ich dir letzten Monat geschenkt“, sagt er mit leisem Vorwurf. „Du solltest ihn benutzen. Aus Gründen.“
„Ah gute Idee, ich könnte jetzt wirklich einen Kaffee gebrauchen“, ist alles, was dir darauf einfällt.

Foto: Aidan Bartos/unsplash

Ich liebe das Schreiben. Ich kann immer und überall schreiben, so lange mir niemand über die Schulter guckt. Wenn ich abgetaucht bin, vergesse ich die Welt und manchmal auch, dass mein Kaffee längst kalt geworden ist.
Nach außen hin sitzt man halt 14 Stunden vorm Bildschirm, murmelt Beleidigungen ins Nichts oder hibbelt ein bisschen herum. Spektakulär sieht anders aus. Aber im Innern sprengt man einen hundert Meter – ach, was sage ich? – zweihundert Meter tiefen Krater ins beschauliche Hamburg-Blankenese und sieht anschließend dem sexy Feuerwehrmann dabei zu, wie er sich durch dichten Rauch kämpft, um irgendwas zu retten. Egal was – Hauptsache, er zieht nachher seine Feuerwehrmannkluft aus.
Wir Indies streiten uns täglich mit zwei Teufelchen auf unseren Schultern. Der Kreativitäts-Teufel wispert dir ins Ohr: „Vergiss die strunzlangweilige Steuererklärung und schreib dieses geniale Buch fertig – jetzt! Das Finanzamt kann auch mal ein paar Monate länger warten, dein Feuerwehrmann nicht.“ Auf der anderen Schulter flüstert der smarte Manager-Teufel (er trägt selbstverständlich eine Krawatte): „Vergiss das doofe Manuskript! Niemand will etwas über Feuerwehrmänner lesen, erst recht nicht das Finanzamt. Oder willst du hauptberuflich Steuerhinterzieher im Knast werden?“
An dieser Stelle denken wir vielleicht darüber nach, auf Rockstar umzuschulen. Ihr wisst schon – Drogen, Schampus und Groupies. Und ein persönlicher Assistent, der sich um den strunzlangweiligen Kram kümmert. Dann schreiben wir ein Buch über einen Rockstar, der auf dem Höhepunkt seiner Karriere beschließt, Schriftsteller zu werden, bevor er sich den Verstand wegkokst, und irgendwie ist alles wieder gut.
Bis dein Internetanwalt sich meldet und sagt, dass der verbrecherische Smiley immer noch nicht aus deinem Impressum verschwunden ist.**


*Den Feuerwehrmann der Liebe gibt es nicht, aber Burning Love ist ein alles andere als seltener Titel.
**Hand hoch, wer jetzt alles mein Impressum gecheckt hat. Der Smiley ist übrigens hier. Guckstu: 🙂

 

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