Eiswasser über den Kopf? Fuck off!

Ich wurde fünfmal herausgefordert und habe mich fünfmal verweigert.

Vermutlich wurdest auch du zu der Ice Bucket-Challenge herausgefordert oder hast zumindest davon gehört.
Die Regeln: Wer nominiert wird, muss sich gemäß der Regeln einen Eimer eiskalten Wassers über den Kopf schütten, ein Video davon ins Internet stellen und darf dann drei weitere Kandidaten benennen. Wer sich verweigert, soll 100 Dollar/Euro an die ALS-Vereinigung spenden, die sich dem Kampf gegen die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) verschrieben hat. Gestartet wurde die Kampagne von dem an ALS erkrankten Baseball-Star Peter Frates.
Am Freitag (29.08.) wurde übrigens die 100 Mio Dollar-Grenze geknackt – im Vorjahr sind gerade einmal 2,8 Mio zusammengekommen. Jetzt steht die Gesellschaft vor einem echten Luxusproblem. Wohin mit dem ganzen Geld?
Man sollte meinen, dass die Challenge eine gute Sache ist – immerhin wird der Fokus auf eine recht unbekannte, tödliche Krankheit gelenkt, gegen die es bislang kein Heilmittel gibt.
Aber ich unterstelle mal, dass den meisten „Teilnehmern“ die Heilung der Nervenkrankheit nicht sehr am Herzen liegt; die Challenge hat die meisten Nominierten ihrer Entscheidungsfreiheit beraubt. Aber man muss ja, alle machen’s schließlich. Ist doch auch lustig und so … Vorher haben die meisten sicher auch nicht für ALS gespendet, kannten diese Krankheit höchstwahrscheinlich nicht einmal (ich übrigens auch nicht; ich spende eh nur für „Ärzte ohne Grenzen“ und die hiesige Anlaufstelle für missbrauchte Kinder).

– Hierzulande gibt es zigtausende Wasser-über’n-Kopp-Videos; die Challenge ist hier eine regelrechte Social Media-Seuche geworden. Aber das Spendenaufkommen aus Deutschland beträgt magere 20.000 Euronen. Ich unterstelle mal, dass der eigentliche Zweck der Challenge, die Unterstützung der ALS-Forschung, ein ganz, ganz klein wenig aus dem Fokus geraten ist bei den Teilnehmern. Jedenfalls sieht man eher selten, dass jemand ein Spendenkonto in sein Video einblendet.
Die Frankfurter Rundschau schreibt: „Mittlerweile schwappt die Eiskübel-Welle weiter, ohne dass noch großartig auf diesen ernsten Hintergrund hingewiesen wird. Bei der aktuellen Flut an Eiswasser in sozialen Netzwerken bekommt man den Eindruck, es werde nur noch Wasser geschüttet, um sich ins Gespräch zu bringen. […] So wird aus einer Idee, die eine ernste Angelegenheit humorvoll verpackt, ein verwässertes Internet-Phänomen, das von vielen letzten Endes nur ausgenutzt wird, um sich selbst in Szene setzen.“ (FR, 23.08.14)

– ALS ist eine Krankheit, die ausschließlich beim Menschen vorkommt. Die Spendengelder sollen größtenteils für Tierversuche eingesetzt werden (am „Tiermodell“, wie es so nett heißt). Damit man die Krankheit am Tier erforschen kann, muss es erstmal gentechnisch in Richtung Mensch manipuliert werden. Deswegen ist die Laborratte aber noch lange kein Mensch. Welchen Wert haben also Erkenntnisse, die auf diese Weise gewonnen werden?

– Was geschieht mit dem Rest des Geldes? Die ALS-Stiftung gab letztes Jahr 28% ihres Budgets für Forschung aus (7,2 Mio Dollar); die Präsidentin der Stiftung Jane H. Gilbert, Präsidentin und Vorstandsvorsitzende der ALS Association, erhielt 339.475 Dollar. Wenn ein erklecklicher Teil des Geldes in die Öffentlichkeitsarbeit fließt, ist das sicher nicht schlecht …
(Quelle: http://www.alsa.org/about-us/financial-information.html).

–  … aber: Die Spendengelder fehlen an anderer Stelle. So schlimm ALS auch ist – die Welt hat dringendere Probleme. An Tuberkulose sterben jährlich 1,3 bis 1,5 Millionen Menschen an ihr, jedoch eben nicht in den gut versorgten Industrienationen, sondern in Entwicklungsländern. Über Ebola, für dessen Bekämpfung dringend Spendengelder benötigt werden (ABC-News), wollen wir hier gar nicht reden.

– Unsere westliche Gesellschaft scheinen den Wert von Wasser, das anderswo auf dem Globus ein wirklich kostbares Gut ist, nicht mehr zu schätzen. Es mutet spöttisch bis zynisch an, Leuten dabei zuzusehen, wie sie sich literweise gekühltes Trinkwasser über den Kopf schütten. Mehr als ein Drittel der Menschen weltweit leidet an Wassermangel, der Hälfte von ihnen steht kein sauberes Trinkwasser zur Verfügung, was Krankheiten, Seuchen und Todesfälle zur Folge hat. Täglich sterben weltweit fast 5.000 Kinder, weil ihnen sauberes Wasser fehlt. Das sind erheblich mehr Todesopfer als durch ALS.

Wer spenden will (wofür auch immer), soll es gerne tun. Aber diese Challenge ist zu einem sozialen Selbstdarstellungs-Zwang mutiert, der sich vom eigentlichen Zweck weit entfernt hat. Und ich unterstelle immer noch, dass den meisten Teilnehmern ALS am A…. vorbeigeht.

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