Großartige Pläne, die Weltherrschaft und was die Muse daraus macht

Foto: Carlos Dominguez/unsplash

Kennt ihr das?
Es ist Silvesterabend und du schreibst, schon fröhlich beschwipst, eine Liste mit grandiosen Plänen für das kommende Jahr. So Sachen wie
– Mindestens vier neue Bücher schreiben und sie sogar veröffentlichen
– Hinter den Schränken staubsaugen
– Herrn Hund das Hütchenspiel beibringen
– Das Motorrad mal gründlich putzen
– Endlich mehr Werbung machen! Massenhaft Werbung!!!
Jeden Tag Jede Woche Mindestens einmal im Monat einen Blogbeitrag schreiben
– Weltherrschaft erlangen.

(beim letzten Punkt warst du schon mehr als nur fröhlich beschickert, aber du lässt ihn stehen, weil er irgendwie episch klingt)

Diese Liste pinnst du dir an dein Schwarzes Brett direkt neben dem Computer, wo du sie am 2. Januar auf jeden Fall sehen wirst.
Fünf Tage später, wenn der Neujahrskater allmählich nachlässt und du zu deiner Erleichterung festgestellt hast, dass der Kerl im Bett neben dir doch dein Männe ist, nur in unrasiert, fragst du dich müßig, was es mit dem Hütchenspiel auf sich haben könnte. Dann stellst du eine weitere Liste auf und betitelst sie
Was ich dieses Jahr schreiben werde:
– mindestens einen Spiegel-Bestseller, der im FAZ-Feuilleton besprochen wird. Irgendwas Provokantes mit langen Schachtelsätzen oder so
– was mit Sex
– Einen Selbstfindungsratgeber (wichtig: Im Titel muss Glück stehen)
– was mit Erotik
– Eine aufsehenerregendes Finale für meine Dystopie (die Mitte solltest du auch noch mal überarbeiten. Und den Anfang, wenn du schon dabei bist)
– was mit einem Trilliardär und Plüschhandschellen
– was mit einer Unterwelt-Jagdgesellschaft (Notiz an mich: Kondome als Goodies wären doch mal geil)
– Einen Dino-Sexroman (anscheinend der neue heiße Shice)
– Eine Biografie (Wie ich mit Dino-Sexromanen die Bestsellercharts stürmte und die Weltherrschaft errang)

Du legst diese Liste deiner Muse vor und sagst: „Dann mach mal. Wenn ich morgen früh aufstehe, erwarte ich Ideen allererster Güte.“
„Sir, ja, Sir!“ Die Muse salutiert zackig und schaut dabei sehr beflissen drein.
Das hätte dich misstrauisch machen sollen. Wenn nicht dies, dann aber das leise Lachen, als du das Arbeitszimmer verlässt, um mit Herrn Hund die erste Hütchenspiel-Lektion in Angriff zu nehmen*.

Foto: Emiliano Vittoriosi/Unsplash

Nächster Tag: Du wachst mit einem guten Gefühl auf und marschierst erwartungsvoll ins Arbeitszimmer. Überall hüpfen Plot Bunnys** umher. Ein ganzes Rudel Plotbunnys und sie vermehren sich wie … na, wie Karnickel halt.
Du packst dir eines und schaust es genauer an. Nix mit Dystopie oder Trilliardär. Fängt ja schon gut an.
Das nächste Bunny trägt eine Lederkutte und du kennst das Emblem auf dem Rücken nur zu gut. „Echt jetzt?“, sagst du. „Ich kann doch nicht den Rest meines Lebens nur Rockerromane schreiben.“
Das Kutten-Kaninchen zupft an deinem Hosenbein. „Die Muse hat aber gesagt, ich soll dir das hier zeigen.“ Vor deinem geistigen Auge taucht eine Privatschule auf, vor der ein Porsche parkt, dann ein roter Cocktail, in dem Blattgold schwebt. What the …?
Ein anderer Mümmelmann schwafelt was von dekonstruktivistischer Kunst.
„Ich weiß nicht mal, wie man das schreibt“, brummst du das Karnickel an und es kichert. Wer je ein Karnickel hat kichern hören, dem dämmert, dass er bereits verloren hat. Auf ganzer Linie.
(Natürlich liegt es auch im Rahmen des Möglichen, dass du in der Klapse sitzt: Bei Autoren macht das jetzt keinen nennenswerten Unterschied)
„Das da ist mein Bruder“, das kichernde Kaninchen deutet auf ein Tier, das eine klitzekleine Kalashnikov in den Vorderpfoten hält. Sieht irgendwie niedlich aus – wenn man mal von dem irren Mörderfunkeln in seinen Knopfaugen absieht.
„Guck nicht so erschreckt“, sagt es. „Keine Angst, ich bin nicht der Held deiner übernächsten Story.“ Es seufzt. „Ich will auch mal ein sexy Alpha-Plot Bunny sein, nicht immer nur der mordlüsterne Bösewicht.“
„Hör ich da ein Mimimi?“, fragt dekonstruktivistische Kunst und die anderen kichern.
Du sortierst die Karnickel. Nix ist mit Spiegel-Bestseller oder einem Dino-Sexratgeber mit Cliffhanger. Und was die Dystopie betrifft, an der du seit gefühlt hundert Jahren schraubst … Ein mickriger Mümmelmann hockt in der Ecke und nuschelt etwas von „Zombieapokalypse“ vor sich hin.
„Echt jetzt“, brummst du und hebst den nächsten klapperdürren Rammler hoch, dann den übernächsten. „Totalitärer Überwachungsstaat … ein gigantisches Labyrinth … tödlicher Wettbewerb mit Pfeil und Bogen … Och, Menno.“ Alles schon mal da gewesen.
Oben auf dem Bücherregal sitzt die Muse mit baumelnden Beinen – barfuß wie üblich. Meine Muse hat behaarte Hobbitfüße, trägt Latzhose und sieht auch sonst nicht so aus, wie man sich gemeinhin eine Muse vorstellt. Ich persönlich hätte ja gern was beeindruckend Männliches mit muskulösem Oberkörper, stechendem Blick und mächtigen schwarzen Schwingen gehabt, aber vermutlich würde eine solche Muse nicht durch die Tür der Schreibklause passen. Die mächtigen Schwingen, ihr wisst schon. Man muss seine Musen halt nehmen, wie sie kommen, auch wenn sie ein bisschen aussehen wie eine Kreuzung aus Pumuckl und einer Frau, die auf dem Sportkanal LKWs zieht.
Die Muse sitzt also oben auf dem Schrank und schaut milde lächelnd zu, wie du die Plot Bunnys aus der Schreibklause zu jagen versuchst. Die Mistviecher sind flink. „Mehr als das wirst du nicht kriegen“, sagt sie. „Da sind doch ein paar gute Ideen bei.“
„Ja, aber keine einzige passt zu meiner Weltherrschafts-Schreibliste“, murrst du. „Ach, egal, es geht auch ohne Plot Bunnys.“ Du setzt dich an den Computer und sagst Hallo zu Nathan und Sascha und zu Alaska mit dem blassblauen Halstuch. In ihrer Welt ist es nasskalt und neblig, in deiner Welt knallt mal wieder die Sonne durchs Fenster und Herr Hund stupst dich an, weil er mit dem Hütchenspiel weitermachen möchte (kein Wunder, es sind schließlich Leckerlis im Spiel).

Foto: Nathan Wright/unsplash

Du schreibst um und schreibst neu, beleidigst den Monitor, klickst dich alle drei Minuten durch Spotify oder Rezeptseiten mit Hasengerichten, recherchierst über Zombieseuchen und die Haltbarkeit von Gemüsekonserven, obwohl du genau weißt, dass du nur Zeit schinden willst. Um deine Füße herum hüpfen die Plot Bunnys, ein paar springen dir auf den Schoß und gucken dich treudoof an. Deine Dystopie weist aktuell 550 Seiten auf, aber noch fehlt der gewisse Kniff, der Twist, das Alleinstellungsmerkmal. Vielleicht ein oder zwei Zombies, um das Ganze etwas … na ja … bissiger zu machen … Du googelst Sind Zombieseuchen out? und bekommst ein Wo hast du die letzten Jahre gelebt, Frautorin? Zombieseuchen sind abgefrühstückt!
Nachts träumst du von einem jungen Rocker, der zu schlau ist, um den Kopf unten zu halten. Tagsüber quälst du dich durch virtuellen Nieselregen und siehst zu, wie deine ach so tolle Story im dystopischen Nebel verblasst.
Ein Plot Bunny pinkelt dir auf den Oberschenkel. Es ist das mit der Lederkutte. Es lächelt zu dir hinauf und wispert: „Wenn du dich gut um mich und meine Brüder kümmerst, stelle ich dir später ein paar Freunde vor: Sexy Mordangeklagter, durchgeknallte Künstler-WG und Dreibeiniger Windhund. Aber erst, wenn du uns in deinem neuen Buch untergebracht hast!“
„Welches neue Buch?“, fragst du dümmlich.
„Na, das, welches du jetzt zu schreiben beginnen wirst.“
Du weißt, es hat keinen Sinn, nachzufragen. Plot Bunnys sind eigen. Sie tauchen auf, wenn sie den Zeitpunkt für gekommen halten, und trommeln nervtötend mit ihren Hinterbeinen auf dem Boden herum, bis du sie beachtest. Du kannst sie nicht verscheuchen und auch nicht zu Kunststückchen abrichten (anders als Herr Hund, aber der ist auch schwer korrupt) und wenn du nicht aufpasst, werden es mehr und mehr und mehr, bis du vor lauter Verzweiflung anfängst, Limericks zu dichten.***
Also seufzt du ergeben, hebst das Bunny mit der Lederkutte hoch und schaust ihm tief in die Augen. Es erwidert stoisch deinen Blick, dann nuschelt es: „Ein Jucken spür ich, ganz verstohlen. 
Das Böse kommt auf leisen Sohlen.“ Verschämt fügt es an: „Sorry, das ist nicht von mir.“
Oh Gott!, denkst du. Ein Hase, der Shakespeare-Zitate von sich gibt, hat mir gerade noch gefehlt.
Die Muse schlenkert grinsend mit den Beinen. „Wirf mal einen Blick auf sein Namens-Patch.“
Du tust es, obwohl du bereits ahnst, was jetzt kommt.
Das Karnickel heißt Shakey.

Foto: Angelo Lacancellera/unsplash

In diesem Moment weißt du, dass der Zeitpunkt gekommen ist, dich von deinen wunderbaren Plänen zur Weltherrschaft und dem provokanten Dino-Trilliardär mit dem Wort Glück im Titel zu verabschieden. Denn – verdammt – dieses Plot Bunny hat Brüder mitgebracht, viele Brüder. Genug Brüder, um gleich zwei Rockerromane zu schreiben.
So war das echt nicht geplant, aber sie haben dir ja zur Belohnung ihre Freunde Sexy Mordangeklagter, durchgeknallte Künstler-WG und Dreibeiniger Windhund in Aussicht gestellt. Du weißt jetzt schon, was du aus denen machen wirst (Nein, kein Hasengulasch). Du kannst es bereits vor Augen sehen und denkst dir: Wooow. Liebe, Drama, Nägelkauen und Wortwitz! Erotik, aber ohne Dinos. Das macht mindestens zwei weitere Bücher und – O Wunder! – sie haben nichts mit Rockern zu tun.
Doch ein Buch nach dem anderen. (An dieser Stelle googeln Autoren gerne nach Wo kann ich mich klonen lassen? oder Zweites Paar Hände – medizinisch möglich?)

Drei Tage später hast du wie im Fieber die ersten Kapitel zu Summer Haze geschrieben, den halben nächsten Bullhead MC-Roman geplottet und sogar den Großteil der Hasenköttel weggesaugt.

Was ich damit sagen will: Pläne sehen echt ganz toll aus, wenn sie so am Schwarzen Brett gepinnt hängen. Man kann damit strunzen und sagen: „Guckt nur, wie unglaublich strukturiert ich arbeite!“ Anschließend lachen wir alle herzlich und versuchen, die ganzen wilden Plot Bunnys einzufangen.

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* Herr Hund kann tatsächlich das Hütchenspiel, auch wenn er meist danebentippt und dann frustriert die Becher umschubst.

** Plot Bunny nennt der Autor eine Idee, die unerwartet in seinem Kopf auftaucht, dort manisch herumhüpft und sich unkontrolliert vermehrt. Was eben noch ein kleiner Funken war, wird zu einem Feuerwerk an Ideen, die sich gegenseitig befruchten, bis eine komplette Geschichte daraus entstanden ist.
Plot Bunnys werden vermutlich von Musen gezüchtet und können zur Plage werden.

*** Zum Beispiel:
Es sagte ein Jüngling in Schlüchtern:
„Ich bin nicht mehr nü… nicht mehr nüchtern!
Ich tu mich bei Frauen
sonst nicht so recht trauen,
denn nüchtern bin ich viel zu schüchtern.“

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