Abenteuer Schreiben – Teil I: Charaktere

Weil dies ein Autoren-Blog ist und das Schreiben logischerweise eine nicht unwichtige Rolle einnimmt, dachte ich mir, ich fange eine kleine lockere Serie zum Thema “Abenteuer Schreiben” an, denn das ist es wirklich.
Glaubt mir, ich weiß, was Abenteuer ist.
Ich bin als Studentin allein quer durch indischen Kontinent gewandert, von der Küste rauf zur Totenstadt Varanasi (macht das bitte nicht nach! In bestimmten indischen Provinzen sind Frauen tatsächlich Freiwild), bin mit Pferd und einem zwielichtigen Führer durch die Sahara und übers Atlasgebirge von Tunesien nach Algerien getourt und habe 2012 allein das arktische Plateau gequert. Ja, es war saukalt, nein, ich habe keine Menschenseele getroffen –  und als ich nach drei Wochen die erste bewirtschaftete Hütte erreichte, gab es nur KALTES WASSER! Das sind Dramen, die sich nur eine Frau ausmalen kann, die an chronisch kalten Füßen leidet.
Abr Schreiben ist eine ganz andere, eine besondere Art Abenteuer, die aus einer Prise Wahnsinn, einer Messerspitze Scheiß-Egal, einem halben Pfund verrückter Bilder im Kopf, einer Tasse Ich-kann-nicht-anders, 2-3 Esslöffel verbissener Disziplin, einer guten Handvoll Masochismus und drei Samenkapseln Überraschung besteht. Bei mir jedenfalls.
Ach ja, das Rezept lautet übrigens “Schreibhandwerk”, aber das kommt irgendwann später dran.

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Heute also Charaktere.
Ich habe, als ich ernsthaft mit dem Schreiben anfing, auch so schöne Charakterbögen angelegt. Da ist ein kompletter Lebenslauf, der auch peinliche Sachen und Geheimnisse der Protagonisten beinhaltet. Im Internet und in klugen Schreibratgebern findet man diese Böägen zuhauf, meist über mehrere Seiten.
Also brav hingesetzt, am Stift gekaut und geschrieben: Geboren wann; Geschwister wieviele; Lieblingsessen; schlechtestes Schulfach; gute und schlechte Eigenschaften … undsoweiterundsofort.
Kennt ihr noch diese Freundschaftsalben, die in der Schule rumgereicht wurden? Im Grunde habe ich ein solches Album für Personen gefüllt, die ich bis dato nicht kannte. Ich habe mir vieles zurechtgestrickt, dachte mir: Hm, den soundso lass ich jetzt mal Katzen hassen, Apple-Fan sein und seine T-Shirts bügeln. Das ist ein schöner Kontrast zu dem langhaarigen Bombenleger aus Kapitel Vier.
Genau, ich habe die Charaktere konstruiert.
Das funktioniert bei vielen Autoren sicher gut. Bei mir ging es in die Hose. Ich habe diese Personen nicht verstanden, ich wurde mit ihnen nicht warm, ich konnte sie nicht einmal vor Augen sehen. Mein Schreibprojekt stagnierte und versandete zwangsläufig.
Wenn ich jetzt den Ansatz einer Geschichte im Kopf habe, gilt das auch für die Charaktere. Sie sind in Ansätzen da. Ich weiß, wo die Geschichte hinführt und welche Höhepunkte es unterwegs zu erklimmen gilt. Ich weiß ungefähr, was für Typen meine Figuren sind. Das ist, als würde man ins Meer gehen und diese Boje dort hinten sehen. Da will ich hin. Hungrige Haie, das winzige Greenpeace-Schlauchboot vorm riesigen japanischen Walfänger, der Untergang der Titanic – unterwegs ist alles möglich. Aber ich will ums Verrecken diese Boje erreichen!
Dann fange ich an zu schreiben. Und ab da erwachen die Charaktere zum Leben, schauen mir über die Schulter und flüstern mir ins Ohr oder stoppen meine Hand, die gerade ihrer Meinung nach hanebüchenen Unsinn schreiben will.
Ich lerne sie beim Schreiben immer besser kennen und sehr oft überraschen sie mich, weil sie den Fortgang der Handlung auf eine Weise beeinflussen, die ich nie und nimmer vorhergesehen habe. Wie ich irgendwo auf FB mal gesagt habe: Ich schwöre, die stehen nachts um mein Bett herum und wispern mir ins Ohr. Und um vier Uhr morgens taumle ich schlaftrunken an die Tastatur und schreibe Szenen, die mich im wachen Zustand verblüffen.
Wenn die Geschichte weit genug gediehen ist, führe ich manchmal Interviews mit meinen Charakteren (und ja – ihr werdet einige davon zu lesen bekommen, ob ihr wollt oder nicht, hehe). Ich schwöre, ich weiß die Antworten nur sehr selten im Voraus.
Mit den Charakteren (ich wage nicht, sie meine Charaktere zu nennen) eine Geschichte zu beginnen, ist für mich jedes Mal ein Abenteuer, dessen Ausgang ich zwar ungefähr kenne, aber die Strecke bis zum Ziel ist mir vollkommen unbekannt. Ich stolpere den Protagonisten hinterher und schreibe auf, was sie erleben, erleiden, denken, fühlen.
Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich mit ihnen rede (nein, nicht so, dass der Rest der Welt es mitbekommt, sonst würde ich diesen Beitrag jetzt aus einem weißen Zimmer mit weich gepolsterten Wänden und einer Kamera an der Decke schreiben). Es fällt mir ab einem bestimmten Punkt schwer zu glauben, dass sie reine Fiktion sein sollen. Und als kreative Person mit einem Hauch Wahnsinn nehme ich ihre Existenz billigend in Kauf – mir egal, was die Rationalisten denken.

EX - David AmbroseAn dieser Stelle möchte ich den Parapsychologie-Roman EX von David Ambrose empfehlen (1998; leider nur noch antiquarisch erhältlich). In diesem Buch erschaffen Studenten zusammen mit ihrem Professor eine fiktive Figur anhand von Lebenslauf, Zeichnungen, Fotos etc und müssen irgendwann feststellen, dass ihre Schöpfung höchst lebendig geworden ist.
Allmählich glaube ich, dass das keine Fiktion ist … Braucht eine Perosn einen Körper, um gegenwärtig zu sein?
Gruselig, oder ? Aber ich mag meine Charaktere trotzdem. Sie haben mein Leben bereichert und tun es noch.

 

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