Buchrezension: “Das Herz im Glas” von Katharina V. Haderer

Im Laufe der letzten Jahre ist meine Freude an Fantasy-Literatur irgendwie weggedämmert. Zu schwurbelig die meisten Romane, zu fortsetzig (man ließ sich immer zwangsläufig auf Zyklen, Chroniken, Sagen ein, kaum, dass man den ersten Satz las), zuviel »Bestimmung« und »Bedrohung«, zu wenig Humor – und diese Unmengen von Apostrophen 😉
Meist hat man einen »Rad der Zeit«-Klon, eine »Herr der Ringe«-Kopie oder ein »Game of Thrones«-Geschlachte in der Hand.
Ich bin daher ohne große Erwartungen an die Lektüre herangegangen, habe mich innerlich auf die übliche High Fantasy-Story eingestellt und darauf, das Buch nach der ersten Du-bist-ausersehen-die-Welt-zu-retten-hier-nimm-diesen-Elfenprinzen-als-Begleiter-Episode wieder beiseite zu legen – und wurde plötzlich in eine Geschichte hineingezogen, die ich so nicht erwartet hätte.

Cover "Das Herz im Glas" Katharina V. HadererWorum geht es?
Die drei Geschwister Aenne, Caedes und Ezra kommen in die pittoreske Felsenstadt Terra Talionis, um das verbotene Geheimnis eines menschlichen Herzen im Glas zu klären, das der »Hobby-Hellseherin« Aenne in die Hände fiel. Die drei ahnen nicht, dass ihre Neugier sie in einen Sumpf aus düsteren Geheimnissen und richtig üble Gefahren führen wird, dessen Tiefe und Ausmaße ihnen erst nach und nach bewusst wird …

Das Cover
Ich hätte das Buch nicht gekauft, wenn das Cover nicht gewesen wäre. Es hebt sich mit seiner schlichten, morbiden Eleganz und den gedeckten Farben aus dem bunten Schwert-und-Magie-Geglitzer mit überladener Schnörkelschrift so wohltuend ab, dass ich einen Blick riskiert habe. Außerdem steht nirgendwo so ein von Ornamenten eingerahmtes »Die Chroniken von Endlos-vielen-Bänden«. Aber dafür der Zusatz »Fantasy-Thriller«, das macht neugierig.

Die Charaktere
Die Hauptcharaktere Aenne und Caedes sind jung und entsprechend impulsiv in ihren Handlungen. Wie alle Mittzwanziger neigen sie dazu, ihre Klugheit zu überschätzen. Ezra, der ältere Bruder, ist zurückhaltender, zudem muss er für eine Familie sorgen und verschwindet zwischendurch aus der Geschichte. Sehr schön fand ich den familiären Hintergrund der Drei: Sie sind Sprösslinge des Königs ohne Königreich, einem reisenden Monarchen, der kein Land besitzt. Eine ungewöhnliche Idee. Königlich oder etepetete ist an den Drei übrigens gar nichts. Entgegen ihrer adligen Herkunft sind sie eher lockere Gestalten, die trotz aller Verschiedenheiten zusammenhalten.
Uma, die Cousine des Stadtstaaten-Königs von Terra Talionis, wurde herrlich zwielichtig dargestellt: ist sie nun Gegenspielerin oder doch auf Seiten der Geschwister?
Iox, um die sich des Rätsels Lösung schlussendlich rankt, ist keine Person, die einem sofort für sich einnimmt; trotzdem beginnt man schnell, sie zu mögen oder wenigstens Mitgefühl zu empfinden. Zudem ist sie insgesamt eine besondere Person. Ihr Verhalten, ihr Selbstschutz, ihr Misstrauen werden schlüssig erklärt; ich persönlich fand nichts daran unglaubhaft.
Auch die Nebencharaktere sind alles andere als dekorative Scherenschnitte, sie besitzen ihre eigene Sprache und hauchen der ganzen Geschichte noch mehr Leben ein.
Es fiel mir anfangs schwer, Sympathie mit den Protagonisten zu empfinden. Sie tauchten auf und die Geschichte begann. Einblicke in die Gefühlswelt bekommt man nur über die Handlungen und Dialoge. Zwischen Leser und Protagonisten bleibt auch am Schluß noch eine hauchdünne Wand. Einzig Caedes, der sich vom jungen draufgängerischen Ich-nehme-was-ich-kriegen-kann-Jäger zum gezeichneten ernsten Realist mit einem Hauch Verzweiflung und viel Herz wandelt, war mir uneingeschränkt sympathisch.

Die Story
Die Geschichte beginnt harmlos mit der Ankunft der drei Geschwister und entwickelt sich, einem Hinweis zum nächsten folgend, zu einem Schnitzeljagd-Thriller. Und wie es sich für einen Thriller gehört, geht es nicht unblutig zu, teilweise wird es ordentlich morbid und brutal. Einer Zwiebel gleich wird Schicht um Schicht des Rätsels abgeschält, dabei kommt immer mehr Schmutz, Mord, Intrige, Gier und Bosheit zum Vorschein. Das Ganze wird ordentlich mit fantastischen Elementen angereichert, aber zu meiner Erleichterung nicht derart, dass man das Buch mittendrin mit einem geseufzten »Bitte nicht schon wieder Elfenprinzen und Bauernsöhne mit magischen Kräften!« schließt. Die Fantasy ist angenehm düster, gefährlich und schnörkellos, sie umhüllt das Thrillerelement und wird nie aufdringlich. Der Hinweis Fantasy-Thriller auf dem Cover trifft’s also genau.
Der Aufbau der Geschichte ist geschickt gemacht. Zusammen mit den drei Protagonisten stolpert der ebenso ahnungslose Leser in die Stadt, nimmt das Ende eines Fadens auf und folgt ihm, ohne nach rechts und links zu schauen, um dann festzustellen, dass es jetzt – oha! – verdammt brenzlig wird. Die Story nimmt viele überraschende Wendungen und wie es sich für einen guten Thriller gehört, steht man oft an einem Punkt, wo man sich fragt, wer nun die Guten sind und wie zum Deibl die Geschichte jemals zufriedenstellend enden kann. Spannende Passagen wechseln mit ruhigen Augenblicken und werden von Herzklopfern abgelöst. Wenn man den rätselhaften Prolog und den gemächlichen Einstieg hinter sich gebracht hat, befindet man sich auf einer solide konstruierten Achterbahn, aus der man so leicht nicht rauskommt und unterwegs noch so Einiges zu sehen kriegt.
Das Ende ist realistisch und bittersüß. Die Helden haben Erfahrungen gemacht und sich verändert (auch äußerlich). Ein reines Happy End wäre unglaubhaft gewesen.
Es gibt übrigens eine (oder mehrere?) Forsetzung. Aber dieses Buch ist in sich geschlossen, man muss also nicht gleich ein ganzes Regalfach freiräumen.

Das Setting
Der gesamte Roman spielt in der Felsenstadt Terra Talionis, in der man für Geld alles bekommen kann und in der sich allerhand zwielichtiges Volk seinen Unterhalt mit noch zwielichtigeren Dienstleistungen und Waren verdient. Die Stadt ist ein verwinkelter, pulsierender düsterer Hexenkessel, dessen Untergrund von Magie durchzogen ist. Moral und Gesetz sind hier Auslegungssache. Es gibt kein Glimmer und Glitzer, selbst in den Palästen sind die Ecken düster. Die einzelnen Stationen – von den purpurnen Märkten über das Schlachthaus, den Tempel bis zu Umas in Schutt und Asche liegenden Palast – sind so lebendig beschrieben, dass Kopfkino vorprogrammiert ist.
Terra Talionis hat mich ein wenig an Freistatt oder Ankh Morpork erinnert; es ist ein Schmelztiegel mit ordentlich Dreck in den Gassen, mehr oder weniger klugen Schurken und einer Drogenszene.

Der Schreibstil
Hut ab! Der Schreibstil ist delikat und bildhaft, ohne je überladen zu werden. Unterlegt von sehr trockenem, subtilen Humor und teilweise ungewöhnlichen Formulierungen, die hart an der Poesie vorbeischrammen ist er hervorragend geeignet, die Geschichte zum Leben zu erwecken und den Leser mitzureißen. In vielen Fantasy-Büchern hat mich die konstruiert wirkende Sprache, die einem die Mystik förmlich um die Ohren haut, oft sehr gestört. Hier war ich begeistert von der besonderen Sprache, die Katharina V. Haderer entwickelt hat. Sie unterstreicht den Ort, die Geschichte und das fantastische Element nahezu perfekt.
Ich könnte mir vorstellen, dass manche Leser Schwierigkeiten mit dem Stil haben; er ist nicht zum zum nebenher-Einsaugen gedacht. Das Buch will aufmerksam gelesen werden. Zur Belohnung taucht man tief in das Geheimnis um das Herz im Glas und die Stadt Terra Talionis ein.

Mein Fazit
Empfehlung! Wenn du die Nase voll hast von der x-ten gemischtrassigen Gruppe, die Völker vereinen muss, um »die Bestimmung« zu erfüllen, stattdessen lieber ein ordentlich düsteres, gefährliches Abenteuer abseits der Realität erleben willst und zudem endlich mal wieder eine schöne Schreibsprache genießen möchtest, lege ich dir Das Herz im Glas wärmstens an, äh, Herz.
Allen, die Die Lügen des Locke Lamorra oder die Freistatt-Anthologie mögen und vielleicht auch die Scheibenwelt-Romane, dürfte dieses Buch gefallen. Aber selbst Thriller-Freunde, die gern mal über den Tellerrand zu schauen bereit sind, sollten einen Blick riskieren.

5 von 5 Sternen

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Erhältlich als Taschenbuch und eBook
Dateigröße: 3641 KB
Seitenzahl der Print-Ausgabe: 540 Seiten
Erschienen: 24. Juni 2014
Verlag: Amazon KDP/CreateSpace
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 1500253022
ISBN-13: 978-1500253028
ASIN: B00L4IB6SW

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