„Wenn ein Roman nicht in der Ich-Perspektive geschrieben ist, lese ich ihn gar nicht erst!“
Den Satz hört man im Romance-Genre recht häufig und, so weit ich weiß, nur dort.
Mal abgesehen davon, dass eine solch engstirnige Haltung keiner LeserIn gut steht – schließlich gelten wir als weltoffene, abenteuerlustige Entdecker mit ordentlich Lesekompetenz –, entgehen einem auf diese Weise vermutlich viele grandiose Bücher. Aber die Ich-Perspektive ist nicht grundlos so beliebt.
Für meine KollegInnen und mich steht am Anfang jedes Romans immer die Frage: „Krabble ich in den Kopf des Protagonisten oder spiele ich ein bisschen Stanley Kubrick?“ Wir haben die Wahl, eine einzelne Rolle zu übernehmen oder das gesamte Geschehen zu orchestrieren. Simpel gesagt: Bei der Ich-Erzählung kreist das Universum um die Hauptperson, während bei der Erzählung aus der dritten Person die Protagonistin zu einem Teil des Universums wird. Der allwissende Erzähler wiederum hält das Universum in der Hand und sieht all die Milchstraßen, Sonnen und schwarzen Löcher.
Welche Perspektive man als AutorIn wählt, hängt maßgeblich von der Geschichte selbst ab.
In Romance-Büchern stehen normalerweise zwei Personen im Mittelpunkt, der Rest ist schmückendes Beiwerk. Da macht es Sinn, sich ausschließlich auf die Person(en) zu konzentrieren und als Ich-Erzähler ordentlich Nabelschau zu betreiben. Für die Leser hat es den Vorteil, dass sie schnell in die Geschichte hineinkommen und gleichsam alles aus den Augen des Protagonisten erleben. In guten Romanen schürt diese Perspektive ungemein die Spannung, denn die Leser wissen immer nur so viel wie die Heldin selbst. Sie sind der Figur sehr nahe, aber ihnen wird zugleich auch verwehrt, sich eine eigenständige Meinung zu bilden. Es bleibt wenig Raum für Reflexionen. Wichtige Informationen und Rückblenden müssen geschickt eingewoben werden. John Nivens zynisches Kill your Friends ist nur ein Beispiel für die meisterhafte Verwendung der Ich-Perspektive.
Ich selbst schreibe sehr gerne aus dieser Perspektive, merke aber auch, dass sie mich manchmal doch einschränkt und schlimmstenfalls zu engstirnigen Denkprozessen führt. Wenn meine Heldin eine passive, weinerliche Tröte ist und sie kein Geheimnis aufzudecken hat, wird so ein Roman niemanden vom Hocker hauen. Beim Schreiben selbst stört mich zudem manchmal die exzessive Verwendung des Wörtchens Ich: „Ich wurde wütend …“, „Ich beschloss …“, „Ich fühlte …“
Dennoch wird diese Perspektive nicht ohne Grund auch von Neu-Autoren bevorzugt verwendet. Sie erleichtert den Einstieg ins Erzählhandwerk ungemein und überfordert auch den Leser nicht.
Das personale Erzählen ist eine kleine Herausforderung. Der Autor sitzt sozusagen wie ein Geist auf der Schulter seines Protagonisten, er hört, sieht, fühlt alles, was sein Held hört, sieht, fühlt. Gleichzeitig kann er der Umgebung oder der Vorgeschichte mehr Aufmerksamkeit schenken und lässt Dinge ins Blickfeld rücken, die ein Ich-Erzähler außen vor lassen muss. Dichte Atmosphäre zum Beispiel. Der Ich-erzählende Held ist sprachlich eingeschränkt, der personale Erzähler ist es nicht. Es wäre auch ziemlich albern, den Protagonisten, der gerade in Begriff ist, seinen Peiniger umzubringen, einen kleinen poetischen Monolog über die kobaltfarbenen Wolken halten zu lassen, die sich hinter der Skyline bedrohlich zusammenballen und einen düsteren Schatten auf sein Vorhaben werfen. Wahrscheinlich bemerkt er auch nicht die Augen, die ihn aus einem dunklen Hauseingang beobachten. Er ist ja gerade mit Umbringen beschäftigt. Aber wir Leser ahnen jetzt, dass unser Held bald noch größere Probleme haben wird als die Blutflecken auf seinem Jackett.
Das Lied von Eis und Feuer von George R.R. Martin ist ein besonders gelungenes Beispiel des personalen Erzählens. Mit jedem Kapitel nimmt der Erzähler die Perspektive eines anderen Charakters ein und erschafft gleichzeitig eine lebendige und sehr bedrohliche Welt.
Der allwissende Erzähler (oder auktoriale Erzähler) darf Gott spielen. Er weiß alles und sieht alles, er schwebt über dem Geschehen und kann innerhalb eines Satzes in den Kopf einer anderen Person springen. Diese Erzählform findet man heute eher selten; sie lässt nur wenig emotionale Bindung an den Charakter zu und der Leser ist nie Teil des Erzählung, sondern außenstehender Beobachter. Der Autor muss sehr feinfühlig vorgehen, um nicht überheblich zu wirken. Andererseits kann er Zusammenhänge zwischen den Figuren aufzeigen und diese bewerten und kommentieren. Darum wird diese Erzählform gern für satirische oder gesellschaftskritische Romane verwendet, traditionsgemäß aber auch für Märchen. Michael Endes Die unendliche Geschichte ist ebenfalls in der auktorialen Perspektive geschrieben.
Die Wahl der Perspektive ist also das wichtigste Instrument für einen guten Roman, noch bevor man den ersten Satz geschrieben hat. Es lohnt sich, zu experimentieren; das kommt nicht nur dem eigenen Schreibhandwerk zugute, sondern auch der Geschichte. Für die Silent-Dilogie habe ich bewusst abwechselnd in der Ich-Perspektive und der dritten Person erzählt. Somit waren die Leser der Ich-Erzählerin besonders nahe, während zu ihrem gefährlichen Gegenspieler etwas Distanz gewahrt wurde, wodurch er bedrohlicher erschien, die Leser aber trotzdem in seinen Kopf gucken konnten.
Aber wie denken meine KollegInnen darüber und aus welcher Perspektive schreiben sie am liebsten?
Mila Olsen
Wer meine Bücher kennt, weiß, dass ich am liebsten aus der Ich-Perspektive schreibe, also den Ich-Erzähler benutze. Meist beschränken sich meine Romane auch auf eine einzelne Person, sprich auf einen weiblichen oder männlichen Protagonisten. Sehr selten nutze ich beide Sichten.
Diese Erzählform ist für mich die einfachste, da sie mir erlaubt, sehr tief und intensiv in die Gefühlswelt einer Person abzutauchen. Außerdem bietet es sich für die Art von Geschichten, die ich erzähle, an. Es geht darin meist um die Aufdeckung von Geheimnissen, meist um die des Love Interests, und so kann der Leser zusammen mit der Ich-Erzählerin Stück für Stück die Wahrheit herausfinden. Das Fokussieren auf diese eine Perspektive erlaubt es mir, mehr Spannung aufzubauen. Ein Wechsel der Perspektiven würde bei meinen Büchern zu schnell zu viel verraten, daher kommen Männer bei mir nicht zu Wort – und wenn nur in Ausnahmefällen.
Außerdem kann ich mich beim Nutzen dieser Erzählperspektive besser in meinen Charakter einfühlen. Ich werde zu dieser Figur – ob das nun immer vorteilhaft ist, bei den Büchern, die ich schreibe, lasse ich jetzt mal offen …
Mila Olsen: A Princess, stolen – Ein Kuss aus Rache, Blut und Liebe
Milas Webseite
Davis Black und Sadie Baines
Wir sind in der letzten Zeit sehr oft und auch direkt darauf angesprochen worden, warum wir für unsere Bücher die Schreibweise im allwissenden Erzählers wählen. Gefühlt jeder liest ausschließlich Bücher, die aus der Sicht des Ich-Erzählers geschrieben sind. Wir können das auch – so ist das nicht … wir haben aber bewusst eine andere Sichtweise für uns gewählt und das bringen wir euch gerne näher:
Davis
Ich mag es mit Worten zu spielen, mit ihnen zu jonglieren und ich liebe es Emotionen so zu schreiben, dass sie beim Leser ankommen und direkt da einschlagen, wo es gedacht ist. Nämlich mitten ins Herz. Die Schreibform des allwissenden Erzählers ermöglicht mir das. Zudem, und das ist das Wichtigste, liebe ich es, die gesamte Umwelt im Buch mit einzubeziehen, den noch so unwichtigsten Nebenrollen ebenfalls die Möglichkeit zu geben, verstanden zu werden. Was sie denken und fühlen. Ich kann in der Schreibform des Erzählers in die Tiefe gehen und meinen Worten so mehr Ausdruck verleihen. Natürlich schreibe ich auch gerne in der 1. Person, wie man an meinen Kurzgeschichten sehen kann. Ich finde es liegt auch an der Geschichte selbst, welche Form für sie passend ist. Ich wünschte, mehr Leser da draußen würden sich einen Ruck geben. Mein Tipp an sie: Lest aus verschiedenen Perspektiven, sonst könntet ihr so viele wunderschöne Geschichten verpassen!
Sadie
Ich möchte dafür sorgen, dass der Leser sich fühlt, als stünde er direkt neben dem Geschehen. Am liebsten soll er die Umgebung beim Lesen schmecken und riechen und das kann man wunderbar, wenn man in jede Rolle schlüpfen kann. Ich liebe kleine Details – klar die gehen auch beim Ich-Erzähler, aber Davis und ich mussten eine Ebene finden, in der wir zusammen schreiben können, ohne ständig die Sicht zu ändern. Wir haben uns über die Jahre „entwickelt“ und die für uns beste Möglichkeit gefunden, zusammenzuarbeiten. Wir fühlen uns darin wohl und wir sind uns sicher, es kann in unserem nächsten Roman keiner erkennen, wer was geschrieben hat. Eben weil wir jeden steuern und näherbringen können.
Ansonsten kann ich mich Davis nur anschließen, denn es hat uns teilweise wirklich nachdenklich gestimmt, immer und immer wieder zu lesen, dass diese Schreibweise eigentlich als negativ angesehen wird – später aber gesagt wurde, unser Buch ist toll.
Ist es dann also nur die Gewohnheit?
Ich persönlich habe eine Kaufentscheidung nie von der Erzählform des Buches abhängig gemacht. Ich sehe das Cover, lese den Klappentext und wenn ich es lesen möchte, dann tue ich es. ?
Davis Black/Sadie Baines: Just one Night
Instagram DavisandSadie
Kim Valentine
Viele Bücher werden aus Ich-Perspektive erzählt, doch hierbei gibt es nochmals Unterschiede. In manchen Büchern wechselt der Autor zwischen zwei Protagonisten hin und her, doch das funktioniert leider nicht bei allen Geschichten.
Besonders dann, wenn ein großes, möglicherweise alles veränderndes Geheimnis im Spiel ist, läuft man Gefahr, seinem eigenen Buch die Spannung zu rauben, wenn man sich für die falsche Erzählweise entscheidet.
Dabei ist der sogenannte Spannungsbogen wichtig für jede Geschichte. Er bringt den Leser dazu, an der Story dranzubleiben – bestenfalls so, dass er das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen kann.
Manchen Lesern fehlt bei Büchern ohne Perspektivwechsel der „Blick in den Kopf“ des anderen Protagonisten. Doch dieser Einblick kann sich als Stolperfalle entpuppen.
Gibt ein Protagonist zu viel preis, ist die Spannung dahin, hält er sein Geheimnis zu lange unter Verschluss und „denkt“ nur um den heißen Brei herum, kann es den Leser auch nerven.
Es gehört also Fingerspitzengefühl dazu, wenn man sich dazu entscheidet, aus zwei Perspektiven zu erzählen, und nicht immer ist die Entscheidung einfach. Für manche Geschichten ist es besser, wenn man auf den Wechsel verzichtet – das muss jeder Autor für sich entscheiden und das muss er tun, bevor das erste Wort getippt ist. Schließlich kennt in dieser Phase nur er seine Geschichte.