Zuschussprojekte, dünner Kaffee und mysteriöse Todesfälle

Es gibt ja immer die Frage nach Fortsetzungen. Das allein ist schon ein großes Kompliment. Der Leser würde nicht nach einer Fortsetzung fragen, wenn er heilfroh ist, die letzte Seite zuschlagen und die nervtötenden Charaktere samt ihrem hanebüchenen Abenteuer endlich vergessen zu dürfen.
Wenn ich das Wörtchen ENDE unter das Manuskript tippe, wird in meinem Kopf auch kein Schalter umgelegt und danach ein anderes Programm angeknipst. Ich sitze dann noch lange da und grüble darüber nach, ob French jemals lernt, eine Waschmaschine anzuschalten oder ob beim nächsten Rogue-Konzert plötzlich Tonis Verstärker in die Luft fliegt und eine Massenpanik ausbricht. Ob Nikodem Baric jemals wieder auftaucht oder ob der draufgängerische Lucius D’Abel sich gar die Haare schneidet …
Fortsetzungen sind toll. Sobald man den nächsten Band aufschlägt, ist es, als würde man nach Hause kommen, wo sich gute Freunde versammelt haben.
Für die Autorin gilt das Gleiche. Wenn sie zu nachtschlafender Zeit in ihre Schreibklause tappst, die Augenlider auf Halbmast, herzhaft gähnend, dann flegeln sich gewöhnlich alte Bekannte auf dem Sofa, Kaffeebecher in den Händen haltend und mit dem Kinn auf den flimmernden Bildschirm deutend. “Wir haben die Kiste schon mal hochgefahren”, sagt dann meist jemand. “Und ein paar klitzekleine Korrekturen an deinem Geschreibsel vorgenommen. Kannst von Glück sagen, dass wir ein wachsames Auge auf deine peinlichen literarischen Ergüsse haben, Schreiberin.”
In der letzten Nacht war es Ash aus den “Tausend Söhnen”, der etwas in der Art sagte. Er und die anderen Wächter haben in letzter Zeit reichlich oft meine Klause heimgesucht, Bücher aus dem Regal gezogen und falsch herum wieder zurückgestellt, kryptische Zeichen auf jedem Papierschnipsel hinterlassen, den sie finden konnten, und sich darüber beschwert, dass ich keinen Death Wish Coffee habe. “Das Zeugs frisst sich durch die Kaffeemaschine und löst die Löffel auf”, ist meine übliche Antwort.
Bildschirmfoto 2015-08-17 um 13.15.46“Pah, du Mädchen!”, sagt Ash mit verächtlichem Schnauben. “Was macht unsere Fortsetzung? Wir haben dir alles erzählt, was wir wissen, aber mehr als ein Konzept und eine Seite mit dem erschöpfenden Inhalt Kapitel Eins hast du bisher nicht zustande gebracht. Alle Verlorenen, da draußen treiben untote Monarchen und eine Horde Wiedergänger ihr Unwesen und du schreibst ein Buch über teetrinkende Motorradfahrer in schmutzigen T-Shirts!” Er wirkt nicht fröhlich gestimmt, um es mal vorsichtig auszudrücken. “Du solltest dringend über deine Prioritäten nachdenken, sonst kümmern wir uns darum.”
Ich lasse mich in meinen Chefsessel fallen – der eher ein Sekretärinnendrehstuhl ist, um der Wahrheit die Ehre zu geben, aber unterschätze niemals die Macht der Suggestion. Außerdem hat er ein ergonomisches, total rückenfreundliches Polsterdingens in knalligem Apfelgrün. “Eines wollen wir mal klarstellen, meine Herren”, zische ich, “die Romane schreibe immer noch ich. Ihr trinkt bloß meinen Kaffee weg und raubt mir die Nachtruhe.”
“Also, Kaffee würde ich das nicht nennen.” Balman blickt in seinen Becher. “Man kann den Boden durchscheinen sehen. Bist du sicher, dass du das Zeugs nicht aus dem Spülbecken geschöpft hast? Es schmeckt irgendwie nach …  erwärmter Seifenlauge.”
Ich versuche, ihn mit meinem Blick zu erdolchen. “Das ist mein Lieblingskaffee, du Banause! Aus nachhaltigem biologischem Anbau, fair gehandelt. Und das nächste Mal werde ich die Kaffeemaschine mit Weihwasser befüllen und eine Knoblauchzehe reintun! So!”
Balman grinst. “Wenn du dann noch anfängst, Psalmen zu rezitieren und mit einem Kruzifix herumzuwedeln, wird es sicher unterhaltsam.”
“Können wir zurück zum Thema kommen?”, grollt Ash. “Wieso geht es nicht weiter mit unserer Geschichte?” Er zeigt auf den Monitor, wo der Cursor nervtötend blinkt. “Die verfluchten Könige sollten endlich aufgespürt und zurückgeschickt werden, bevor”, er macht eine bedeutungsschwangere Pause, “etwas wirklich, wirklich Schlimmes passiert.”
Ich kneife meine verschlafenen Augen zusammen. “Sag mal, drohst du mir gerade, Legionär?”
“Ach was, ich spekuliere lediglich vor mich hin.” Ash lehnt sich vor. “Wir haben eine verflucht wichtige Aufgabe zu erledigen, aber du lässt uns im luftleeren Raum hängen, Schreiberin, und tippst stattdessen nette Vorort-Geschichten mit motorisierten Zweirädern zusammen. Also, wie sehen deine Pläne aus?”
Zurück in die Wohnung tapsen, unter die kuschelige Bettdecke kriechen und ausschlafen, denke ich sehnsuchtsvoll. Es ist halb drei Uhr in der Nacht und ich habe nicht die leiseste Ahnung, warum ich auf meinem apfelgrünen Sekretärinnendrehstuhl sitze und meinen Romanfiguren beim Meckern zuhöre. Okay, irgendwo kann ich sie verstehen. Und ich frage mich ja auch immer wieder, wie es mit den Wächtern, mit Jo und ihrem unheilvollem Talent, der verratenen Colony und den unauffindbaren untoten Monarchen weitergeht. “Ich erkläre es mal so, dass es auch der letzte niedere Dämon in diesem Raum versteht”, sage ich.
Balman und Ash wechseln einen Blick, Ashs Augen glühen jetzt noch unheilvoller. “Hat sie gerade Niedere Dämonen gesagt?”, grollt er.
“Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir”, Balman zupft an seinem geflochtenen Kinnbärtchen. “Autorin stirbt mysteriösen Tod in ihrer eigenen Kaffeemaschine. Sie hinterlässt eine unvollendete Urban Fantasy-Serie und ein paar reichlich angepisste Dämonen.”
***
An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs in die seltsamen Tode von Literaten erlaubt:
Der Horrorautor Edgar Allan Poe wurde benommen und in fremder Kleidung auf der Straße aufgefunden und in ein Krankenhaus gebracht, wo er vier Tage später im Alter von 40 Jahren das Zeitliche segnete. Die Ärzte konnten die Todesursache nicht klären. Ich behaupte mal, dass er sich eine neue Identität zulegen wollte, damit ihn seine höchst eigenen Heimsuchungen nicht finden konnten, die ihn garantiert zu diversen Fortsetzungen nötigen wollten. Sein Plan ist nicht aufgegangen, offensichtlich, und Der Untergang des Hauses Usher hat auch keinen zweiten Teil bekommen. Soviel dazu.
Tennessee WilliamsTennessee Willimans erstickte an der Verschlusskappe seiner Augentropfen; bis heute hält sich das Gerücht, er sei ermordet worden. Sherwood Anderson verschluckte einen Zahnstocher, bekam einen inneren Abzeß und verstarb daran. Vermutlich hatten beide Schriftsteller ein ähnliches nächtliches Streitgespräch mit Romanfiguren geführt, wie ich es gerade tue, nur dass statt einer Kaffeemaschine ein Zahnstocher beziehungsweise ein Augentropfendeckel unheilvolle Erwähnung fanden, weil Kaffeemaschinen damals noch nicht sehr weit verbreitet waren.
Ödön von Horváth wurde von einem Ast auf dem Champs-Élysées erschlagen – wahrscheinlich, weil er partout keine Fortsetzung von Der jüngste Tag schreiben wollte. Logo, was soll nach dem jüngsten Tag auch noch groß kommen?
***
“Hört einfach zu, okay?” Ich tue so, als hätte ich Balmans nicht sonderlich subtile Drohung überhört, räuspere mich und sage: “Also, es ist so: Ich bin nur eine kleine Indie-Autorin und der Fantasybuchmarkt ist groß, verdammt groß. Unüberschaubar riesig. Zigtausende Romane, unendlich viele Geschichten. Und dann ist da noch Game of Thrones, dessen Ende ich wohl nicht mehr erleben werde.” An dieser Stelle muss ich leise seufzen.
“Ja. Schön, dass wir darüber geredet haben”, knurrt Ash. “Und?”
Die Armee der Tausend Söhne hat ihre Leser gefunden, keine Frage. Und diese mochten das Buch und sie wollen auch wissen, wie es weitergeht.”
Er deutet nachdrücklich auf den blanken Bildschirm. “Dann leg verflucht noch mal los!”
Ich hebe die Schultern. “Leider ist das Schreiben von Fantasy-Romanen in der Regel wirtschaftlich subobtimal, wenn man nicht gerade Gorge R.R. Martin, Joe Abercrombie oder Wolfgang Holbein heißt. Ich stecke mehr hinein, als ich unterm Strich rausbekomme, um es mal salopp zu formulieren. Und Urban Fantasy ist noch mal eine Klasse für sich.”
Jetzt habe ich ihre Aufmerksamkeit. “Das bedeutet …?”, sagt Balman langsam.
“Das bedeutet, ich muss mir das Fortsetzung-Schreiben einer solchen Urban Fantasyserie erst einmal erarbeiten, indem ich andere, möglichst rentable Bücher veröffentliche. Von irgendetwas muss ich schließlich leben, während ich monatelang eure Abenteuer niedertippe. Der Computer läuft nicht mit Luft und Liebe, mein Hund frisst mir die Haare vom Kopf und euer Kaffee will auch bezahlt werden.”
Balman zieht die Brauen zusammen. “Erzähl mir nicht, dass du für diese geschmacklose Brühe auch noch Geld bezahlst, Schreiberin.”
Ich ignoriere den Einwand. “Der Krieg der Könige finanziert sich nicht von selber, meine Herren. Er ist ein Zuschußgeschäft.”
Ash kratzt sich am Kinn. “Mich hat noch nie jemand als Zuschußgeschäft bezeichnet”, murmelt er. “Das klingt verflucht noch mal nach einer Beleidigung.”
“Das ist die harte Realität, tut mir leid”, sage ich. “Um als Indie-Autorin eure Geschichte ruhigen Gewissens fortsetzen zu können, braucht es ein gewisses Polster. Oder einen großzügigen Gönner.” Mir kommt ein Gedanke. “Ehm, wie steht es eigentlich um eure Ersparnisse? Ihr habt einiges auf der hohen Kante liegen, heißt es.”
“Wir haben auch unsere Ausgaben”, sagt Balman gleichmütig. “Unsere Burg ist ein Faß ohne Boden und Erste Klasse-Flüge bekommt man nicht zum Schnäppchenpreis.”
“Toll, und die arme Frau Autorin darf Holzklasse fliegen”, murre ich und wackle mit den Zehen. “Um es kurz zu machen: Ja, ich schreibe eine Fortsetzung. Aber ich muss trotzdem meinen Lebensunterhalt verdienen.”
“Schicke den Hund zum Betteln in die Fußgängerzone. Bei traurig dreinblickenden Tieren werden die Leute spendabel”, schlägt Ash vor. “Und verkauf dieses Motorrad. Fahrradfahren ist eh viel gesünder.”
Ich zeige ihm den Mittelfinger. “Sorgt einfach dafür, dass eure Fortsetzung ein spannender, hochemotionaler Kracher mit ordentlich Adrenalin wird und nicht wieder ein unbemerktes Projekt, bei dem ich draufzahle, ja? Dann haben wir alle was davon.”
Wieder tauschen die beiden glimmende Blicke aus. “Draufzahlprojekt”, grummelt Balman. “Das wird ja immer besser, bei Barbatos.”
“Herrgott, ich habe doch gerade gesagt, dass ich weiterschreibe!”
Er grinst. “Ah, Herrgott – so hat mich auch noch niemand betitelt.” Dann wird er ernst und deutet mit dem Kinn auf den Monitor. “Okay, nachdem die Rahmenbedingungen geklärt wurden: Können wir endlich mit Teil zwei loslegen, bevor du von der Zeit und deinem miesen Kaffee dahingerafft wirst, Schreiberin?”
“So gebrechlich bin ich nun auch wieder nicht”, brumme ich und drehe ihnen den Rücken zu. “Nun fangt schon an mit eurer Geschichte …”
Bildschirmfoto 2015-08-17 um 13.16.08Worauf ich hinauswill, liebe LeserInnen: Ja, der Krieg der Könige wird weitererzählt.
Aber die Zeit, um die Serie weiterschreiben zu können, muss ich mir erstmal verdienen, im wahrsten Sinne. Als Indie-Autorin bin ich mein eigenes Kleinunternehmen. Der Krieg der Könige ist ein Nischenprodukt, heißgeliebt von einer Handvoll Lesern, die sehnlichst auf die Fortführung der Geschichte warten (mich übrigens eingeschlossen. Ich will auch endlich wissen, ´wie es weitergeht).
Aber allein die Produktion (in diesem Fall das schreiben, umschreiben, nochmal-umschreiben, korrigieren, lektorieren, formatieren und andere nervenzerfressende Dinge, die mit -ieren enden, die Covergestaltung, der Druck der Taschenbücher, der Werbekrams) kosten mehr, als es am Ende einbringt. Es gibt zigtausende – ach, was sage ich? Drölfzilliarden andere tolle Urban Fantasy-Bücher von weitaus bekannteren Autoren, die sich aus der Portokasse täglich eine neue Yacht passend zur Handtasche gönnen (na gut, das ist jetzt etwas übertrieben, aber ihr wisst, worauf ich hinauswill). Ein Herr Stephen King kann sich mal eben zwei Jahre auf sein Anwesen zurückziehen und ein, sagen wir, dramatisches tausendzweihundert Seiten starkes Bergdoktoren-Epos im postmodernen Telegrammstil verfassen, das nur dreieinhalb Käufer findet, und sich trotzdem jeden Morgen frische Croissants einfliegen lassen.
Umständliche Rede, kurzer Sinn: Darum dauert es so lange, bis ich mit Krieg der Könige dort weitermachen kann, wo die Tausend Söhne einstmals endeten.
By the way: Ihr könnt mir gerne eine PN schicken und ich lasse euch mit Freuden meine Bankverbindung zukommen  (zwecks Spende zur Unterstützung der fantastischen deutschen Literatur und so). Dann kann ich meinen ungeduldigen nächtlichen Heimsuchungen zu ihrem Death Wish Coffee vielleicht sogar noch eine Habanero-Chili servieren und endlich, endlich wieder ruhig schlafen …

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